Arrangieren und Instrumentieren

Dieser Artikel basiert auf dem Buch von Ulrich Kaiser und Carsten Gerlitz Arrangieren und Instrumentieren. Barock bis Pop (2005).

Schubert und Bach für großes Orchester

Inhalt

Vorbemerkungen

In diesem Dokument kannst du dich ein wenig mit Instrumentationstechniken des 19. Jahrhunderts vertraut machen, auch wenn viele von uns vielleicht nie die Chance haben werden, die eigenen Arrangements von einem großen Orchester gespielt zu hören. Arrangierarbeiten für einen großen Orchesterapparat sind dennoch lohnend, weil sich eine romantische Sinfonie von einer Sinfonie im Stile Mozarts nicht nur durch die Anzahl der Instrumente unterscheidet, sondern auch durch die Art, wie die Instrumente eingesetzt werden. Der Computer sowie ein Notationsprogramm oder eine Digital Audio Workstation können beim Arrangieren und dem Erarbeiten einer Klangvorstellung helfen ...

Exkurs: Das Orchester im 19. Jahrhundert

Ein Merkmal des Orchesters im 19. Jahrhundert war, dass sich der spielbare Tonumfang der Instrumentengruppen erweiterte: In der oberen Oktave über den Flöten z.B. durch die Piccoloflöte, in der Unteroktave der Klarinetten und Fagotte durch die Bassklarinette und das Kontrafagott.

Auch die Klangstärke veränderte sich: Hierzu wurde die Instrumentenanzahl für die chorisch besetzte Streicher (z.B. 20 erste Violinen anstatt nur drei, 5 Kontrabässe anstelle eines einzigen Basses usw.) sowie einzelner Instrumentengruppen (z.B. vier Hörner statt zwei) erhöht. Neue Instrumente kamen zum Orchester hinzu: Seit Beethoven zählen z.B. die Posaunen, später dann das Englisch Horn, die Tuba, die Harfe, die Celesta oder sogar ausgefallene Instrumente wie die Ophikleîde (ein zur Familie der Bügelhörner gehörendes Blechblasinstrument mit fagottartig geknickter Röhre) zu den Orchesterinstrumenten.

Nicht zuletzt erweiterte sich auch das Schlagwerk im 19. Jahrhundert zum Teil erheblich (eindrucksvoll ist in dieser Hinsicht das »Tuba mirum« des Requiems von Hector Berlioz, wo 6 Pauken mit einem tiefen Es-Dur-Akkord den Tag des jüngsten Gerichts ankündigen), obgleich die Emanzipation der Rhythmusinstrumente erst zu den herausragenden Ereignissen der Orchesterentwicklung des 20. Jahrhunderts gezählt wird.

Auch die Aufgaben im Orchester wurde neu verteilt: Zum Beispiel konnten Bläsergruppen die Funktion des Streichersatzes vollständig übernehmen, und Instrumente der Harmoniemusik und der Bassgruppe wie z.B. Hörner oder Celli emanzipierten sich als melodieführende Instrumente. Nicht zuletzt wurden auch besondere Spieleffekte wie z.B. das Tremolo und Pizzicato der Streicher gerne eingesetzt.

Schubert für romantischen Orchester

Franz Schubert: Der Atlas

Studiere die Noten des Liedes Der Atlas von Franz Schubert und höre dir die Aufnahme an, bis du eine deutliche innere Klangvorstellung vom Notentext des Liedes hast.

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Franz Schubert, Der Atlas (aus: Schwanengesang D 957), Tenor: Ulrich Kaiser, Klavier: Kilian Sprau

Die ersten Takte des Liedes haben durch ihre tiefe Klanglage in g-Moll, den Rhythmus und die Bassmelodie sowie die Tremolobegleitung der rechten Hand einen ganz besonderen Ausdruck:

Wenn man vor einer Arrangieraufgabe steht, ist der Anfang immer am schwersten. Wie kann man sich bei der Arbeit helfen? Eine Möglichkeit besteht darin, dass du versuchst, dich an Stücke zu erinnern, die im Charakter dem zu arrangierenden Stück ähnlich sind. Fällt dir z.B. eine Kompositionen ein, die mit einer Tremolobegleitung und düsterer Stimmung beginnt?

Ein Streicherteppich

Kennst du das Violinkonzert von Jean Sibelius? Das beginnt mit einer Tremolobegleitung und wirkt an einigen Stellen des Anfangs durch den Einsatz von Fagotten und Klarinetten auch dunkel und geheimnisvoll. Im Folgenden werden wir uns einige Instrumentationstechniken von Sibelius ›borgen‹ und in das Atlas-Arrangement übernehmen. Allerdings dürfen wir nur Instrumentationstechniken und Stilmittel übernehmen, denn der Komponist ist noch bis bis zum 1. Januar 2028 urheberrechtlich geschützt.

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Jean Sibleius, Konzert für Violine und Orchester, Violine: Hilary Hahn, Orchester: Philharmonique de Radio France, Dirigent: Mikko Franck, Quelle: Youtube

Im Video kannst du sehen, dass das Violinkonzert in den Streichern mit einem ausgedehnten Streichertremolo beginnt. Für diesen ›Streicherteppich‹ spielen die Violinen I + II jeweils geteilt (divisi). Von der ersten Violine 1 und der ersten Violine 2 (sowie den zweiten Violinen 1 und 2) werden dabei abwechselnd die gleichen Töne gespielt, wodurch der erklingende Akkord flirrend und schwebend klingt. In dem folgenden Beispiel wurde die Technik für die ersten vier Takte der Klaviereinleitung übernommen (du kannst sehen, wie die zweiten Violinen die ersten ergänzen, indem du den Slider nach rechts ziehst):

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Die Streicher folgen dabei der Harmonik des Schubert-Liedes und verwenden die Tremolo-Technik von Sibelius. Das Ergebnis ist eine leicht bewegter, flirrender Streicherklang.

Erstelle eine Partitur für eine romantische Orchesterbesetzung nach dem folgenden Muster:

  • 2 Flöten
  • 2 Oboen
  • 2 Klarinetten
  • 2 Fagotte
  • 2 Hörner
  • 2 Trompeten
  • 3 Posaunen
  • Pauken
  • Violinen I
  • Violinen II
  • Viola
  • Violoncelli
  • Kontrabässe (extra System)

Zum Download: leere Partitur (MuseScore)

Beschäftigen wir uns noch mit der Harmonik Liedes. Vervollständige hierzu die Akkordtabelle für die die ersten 20 Takte des Atlas-Liedes und überprüfe dein Ergebnis durch Ziehen des Sliders:

Das Lied ist in den ersten 20 Takten im Hinblick auf die Harmonik recht einfach. Außergewöhnlich sind lediglich

  • der geheimnisvolle übermäßige Akkord (z.B. b-d-f# auf der 1. Zählzeit des zweiten Taktes - welche Chiffrierung würden Sie für diesen Klang wählen?) sowie
  • die Modulation in den Takten 16-20 nach H-Dur (anstelle einer üblichen B-Dur-Ausweichung in einer g-Moll-Komposition), die der nachfolgenden zynischen Rede des Atlas eine besondere Farbe verleiht.

Arbeite nun einen ›Streicherteppich‹ für die oberen Streicher des Atlas-Arrangements bis zur Modulation T. 17 aus. Du kannst hierzu die gegebenen Anfangstakte vervollständigen:

Die Melodieverteilung

Zum Anfang können die Violoncelli und Kontrabässe gut die tiefe Melodie in der linken Hand des Klaviers spielen. Die Gesangsstimme könnten die Höner übernehmen, ab »die ganze Welt« (T. 10) dann von den Bässen und den Holzbläsern unterstützt. Als besonderen Effekt im Bereich der Modulation könnten dann auch noch die Posaunen die Melodie verstärken und ihr entsprechende Schlagkraft verleihen. Wenn du magst, orientiere dich an dem folgenden Instrumentationsvorschlag:

Dunkle Bläserfarben

Der dunkle und schwere Klang des Violinkonzerts von Sibelius beruht unter anderem auf dem besonderen Einsatz der tieferen Holzblasinstrumente. Das folgende Notenbeispiel der Takte 41-46 des ersten Satzes zeigt einen charakteristischen Einsatz der Fagotte und Klarinetten:

J. Sibelius, Konzert für Violine und Orchester d-Moll Op. 47, 1. Satz, Klarinetten und Fagotte T. 41–46. Dieses Beispiel ist urheberrechtlich geschützt und wird hier im Rahmen des Zitatrechts § 51 UrhG verwendet.

Arbeite einen mehrstimmigen Satz für die Klarinetten und Fagotte im Atlas-Arrangement aus und verwenden Sie diese Instrumente dazu, die Harmonien einiger Takte dunkel zu ›beleuchten‹. Auch die Pauken können für diesen Effekt eingesetzt werden (und natürlich für eine Schlusssteigerung). Wenn du nur die klassischen zwei Pauken verwenden willst, dann kannst du die auf die Töne d und f# stimmen, denn einer dieser Töne passt fast immer zu den Harmonien, die Schubert verwendet (g-Moll, D-Dur, h-Moll, Fis-Dur und der Dv g#-h-d-f). Wenn du willst, kannst du dich wieder an der folgenden Instrumentationsanleitung orientieren:

Wenn ein Arrangement schwer und dunkel klingen soll, musst du die Spielweise und den Einsatz der helleren bzw. höheren Melodieinstrumente wie Trompeten, Oboen und Flöten sehr bewusst planen. In den ersten 100 Takten des ersten Satzes des Violinkonzerts von Sibelius spielen die Flöten z.B. nur in 4 (!) Takten.

Verwende in den Takten 17-20 die Hörner und Trompeten für die Harmoniemusik (und ggf. die Oboen in den Takten 9-14).

Der effektvolle Abschluss (Modulation)

Überlegen dir für die Holzbläser und Streicher einen besonderen Effekt für die abschließende Modulation. Welche Mittel der Steigerung sind in den Bläsern möglich Auch ein Unterbrechen des Tremolos in den Streichern wird Aufmerksamkeit erregen, welche Spieltechnik könnte man stattdessen für die Streicher einsetzen? Studiere abschließend die Musterpartitur (die 2. Seite siehst du durch ziehen des Sliders) und höre dir an, wie die Partitur klingt, wenn sie von ›richtigen‹ Instrumenten gespielt wird:

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Orchester der Lehramtsstudierenden der Hochschule für Musik und Theater München
Ltg.: Christoph Adt, Arrangement: U. Kaiser

Notation

Studiere das Arrangement mithilfe der Notationsdatei. Beachte den gewählten Effekt am Schluss. Wie würdest du die Chromatik in den Holzbläsern notieren? Recherchiere, welche Notation für die einzelnen Instrumente leichter oder schwerer zu spielen ist und verbessere ggf. den Notentext.

Mit der Datei zur Musterlösung kannst du dich auch gut mit den transponierenden Instrumenten wie den Klarinetten und Hörner beschäftigen. Hierzu kannst du rechts unten im Programm die Anzeige zwischen klingender und traditioneller Notation wechseln.

Bach für romantischen Orchester

J. S. Bach, Sarabande in d-Moll für Violine solo

Im Vorangegangenen hast du eine »romantische« Vorlage (Kunstlied von Franz Schubert) für ein romantisches Orchester bearbeiten können. Ein reizvoller Stilbruch ist es, einen Komponisten wie Johann Sebastian Bach, der im frühen 18. Jahrhundert gelebt hat, für eine Orchesterbesetzung des späten 19. Jahrhunderts zu bearbeiten. Als Vorlage kannst du die Sarabande aus der Suite in d-Moll (3. Satz aus BWV 1004) von Bach verwenden. Der Notentext könnte dir bekannt vorkommen, denn du hast ihn in diesem Lehrgang schon einmal bearbeiten können.

Das Original

Höre die die Sarabande in d-Moll BWV 1004, Nr. 3 von Johann Sebastian Bach an und lies dabei den Notentext mit:

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Johann Sebastian Bach, Sarabande d-Moll BWV 1004 Nr. 3, Violine: Senta Kraemer

Ein Lückentext

Höre dir die Aufnahme der Orchesterbearbeitung der Sarabande an und lies dabei den Notentext mit. Einige Abschnitte sind bereits instrumentiert worden, an anderen hörst du nur die Solovioline mit dem originalen Notentext von Bach:

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Orchester der Schulmusikstudierenden der Hochschule für Musik und Theater München
Ltg.: Christoph Adt, Arrangement: Ulrich Kaiser

Vervollständige den Lückentext, indem du den originalen Notentext studierst und dich durch die Vorgaben inspirieren lässt. Du kannst natürlich auch die Vorgaben abwandeln, wenn die eigene Ideen hast. Vielleicht hast du den Klang einer romantischen Orchesterkomposition im Ohr? Wenn ja, könntest du anhand einer Partitur des Stücks studieren, »wie es gemacht ist« (Schönberg) und den Klang des Orchesters zu kopieren versuchen. Für deine Arbeit kannst du die Notationsdatei zur Aufgabe verwenden:

Ideen & Anregungen

Ideen & Anregungen

  • Leopold Stokowski war ein berühmter Dirigent des 20. Jahrhunderts, der viele barocke Werke für großes romantisches Orchester arrangiert hat. Lass dich beim Hören anregen, einige Aufnahmen findest du, wenn du bei YouTube nach den Stichworten stokowski und bach suchst.
  • Für ein Instrumentationsstudium sind Lieder von Gustav Mahler und Richard Strauss sehr geeignet, denn für viele dieser Lieder gibt es sowohl eine Fassung für Gesang und Klavier als auch eine für Gesang und Orchester. Wenn du dir die Orchesterfassungen anhörst und den Notentext der entsprechenden Klavierfassung mitliest, kannst du versuchen, dir nur über das Hören eine Instrumentationspartitur zu erstellen. Vergleiche dein Ergebnis anschließend mit den Orchesterpartituren der jeweiligen Werke.
  • Zu vielen Werken der Klassik gibt es unterschiedlichste Arrangements. Auf YouTube verfügbar sind z.B. aktuell (2023) Versionen des Liedes Der Lindenbaum aus der Winterreise von Franz Schubert (für Chor, Kammermusikensemble mit und ohne Gesang, Blasorchester, Big Band usw.).