Formenlehre: Einheit 14 – Klassische Moderne: Formkonzepte, Tonhöhenordnungen
Symmetrie, Brückenform; Dodekaphonie, Serialismus; Tonalität und Modalität – PDF
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Symmetrie als Formprinzip
Brückenform
Zeitliche Spiegelsymmetrie in einem Einzelsatz bzw. in einem mehrsätzigen Werk; Formschema beispielsweise: A – B – C – [ D – C – ] B – A
Im Zentrum liegt eine Symmetrieachse, ab der Formteile oder Sätze in umgekehrter Reihenfolge wiederkehren (evtl. variiert)
Vielfältige Beispiele im Schaffen Bartóks: viertes und fünftes Streichquartett, zweites Klavierkonzert, Konzert für Orchester
Weitere palindromartig gebaute Werke – Alban Berg: Kammerkonzert, II. Satz; Anton Webern: Symphonie op. 21; Hindemith: Ludus tonalis, Fuge Nr. 3
Goldener Schnitt
Ableitung aus der Fibonacci-Folge: 1 1 2 3 5 8 13 21 34 55 89 …
Der Goldene Schnitt entspricht dem Grenzwert der Quotienten der Nachbarzahlen (Verhältnis 1 : 1,618…)
Seit der Antike in Architektur und Malerei als Inbegriff von Vollkommenheit und Ausgewogenheit verwendet (proportio divina)
In der Musik nutzbar als Formmodell (Proportionen von Teilen) oder als rhythmisches Muster (Folgen von Notenwerten)
Beispiele – Bartók: Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta; Einflüsse spürbar bei Lutosławski und Ligeti, auch Stockhausen, Grisey
- Béla Bartók
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Béla Bartók: Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta (1936), I. Satz: Andante tranquillo
Analysefilm erstellt mit Audio Timeliner | Autor: Wendelin Bitzan, Lizenz: CC BY-SA 4.0 | Quellen: IMSLP | YouTube
Dodekaphonie und Serialismus
Zwölftontechnik
Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen: entwickelt von Schönberg (um 1920), übernommen von Webern und Berg
Tonhöhen in Reihen organisiert; Töne kehren erst wieder, nachdem alle übrigen Reihentöne erklungen sind; Enharmonik irrelevant (cis = des)
Sonderform: Allintervallreihe (enthält nicht nur alle 12 Töne, sondern auch alle 11 Intervalle innerhalb der Oktave)
Tropenlehre von Josef Matthias Hauer (bereits 1919): Reihen werden aus Konstellationen in Sechstongruppen gebildet
Durch Reihentechniken werden die Tonhöhenstrukturen zusehends komplex; in anderen Bereichen kann die Musik jedoch weiterhin traditionelle Muster und Modelle aufgreifen (Rhythmik, Syntax, Form); oft Rückgriffe auf barocke und klassische Formtypen
Reihengestalten (außerdem möglich: Transposition und ggf. Permutationen) | Beispiel | |
---|---|---|
G | Grundgestalt (enthält alle Töne jeweils einmal) | R E I H E |
U | Umkehrung (vertikale Spiegelung: Intervallumkehrung) | ꓤ ꓱ ꓲ ꓧ ꓱ |
K | Krebs (horizontale Spiegelung: Rückwärtigkeit, Ablauf von rechts nach link) | E H I E R |
KU = UK | Krebsumkehrung bzw. Krebs der Umkehrung | ꓱ ꓧ ꓲ ꓱ ꓤ |
Anton Webern: Streichquartett op. 28, Reihenquadrat
Lizenz: CC0 | gemeinfrei
Serielles Komponieren
Neben Tonhöhen werden auch andere musikalische Parameter (Tondauern, Dynamik, Artikulationsvarianten) in Reihen organisiert
Strenge Determinierung aller Details des Tonsatzes in radikaler Abkehr von traditionellen Musikästhetiken
Weitgehende Ausblendung von Expressivität, Subjektivität, persönlichem Geschmack; Protagonisten ab 1945: Boulez, Nono, Stockhausen
- Paul Hindemith
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- Arnold Schönberg
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- Anton Webern
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- Germaine Tailleferre
Pastorale (1919)
Exkurs: Tonalität im frühen 20. Jahrhundert
Entwicklung: Durch Chromatisierung erweiterte Dur-Moll-Tonalität, etwa in Liszts Spätwerk, auch bei Reger, Strauss, Mahler, früher Schönberg
Impressionistische Harmonik, etwa bei Debussy und Ravel: Akkorde treten als eigenständige Farbwerte jenseits funktionaler Logik auf
Möglichkeiten in expressionistischer Musik
(1) Zentraltönigkeit: etwa Klangzentrums-Harmonik und ›Prometheus-Akkord‹ bei Skrjabin; ›schwebende‹ Tonalität bei Szymanowski
(2) Quartenharmonik: kann die Akkordschichtung in Terzen ersetzen (etwa bei Schönberg und bei Hindemith sowie im Jazz)
(3) Freie Atonalität (Zweite Wiener Schule, ca. 1909–1923): Preisgabe von Grundtönen und Emanzipation der Dissonanz;
ggf. auch Aufgabe formaler Logik, wobei motivisch-thematische Strukturen häufig intakt bleiben; oft extreme Kürze
Konzepte von Modalität
(a) Diatonische Neomodalität: in Osteuropa häufig inspiriert durch Volkslieder, etwa in Teilen des Schaffens von Bartók, Strawinskij und Prokofjew,
häufig in Verbindung mit ebenfalls folkloristischer Rhythmik oder klassizistischer Formensprache
(b) Polymodalität (verschiedene Skalen zugleich) und Polytonalität (verschiedene Grundtöne zugleich): etwa bei Bartók oder Schostakowitsch
(c) Modi bei Messiaen: Verwendung symmetrischer (auf äquidistanter Oktavteilung basierender), nur begrenzt transponierbarer Skalen
- Hörbeispiel – Aleksandr Skrjabin: Albumblatt für Klavier op. 58 (1909)
- Hörbeispiel – Dmitrij Schostakowitsch: 24 Präludien für Klavier op. 34 (1933), Nr. 6 h-Moll
- Hörbeispiel – Arnold Schönberg: Suite für Klavier op. 25 (1923), Präludium | Gavotte | Gigue
- Hörbeispiel – Olivier Messiaen: Quatuor pour la fin du temps (1941), III. Satz | VI. Satz | VII. Satz
- Machen Sie sich mit Tonalitäts- und Modalitätskonzepten im frühen 20. Jahrhundert vertraut und hören Sie die Musikbeispiele.
- Hören Sie den I. Satz aus der Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta von Béla Bartók, verfolgen Sie das Analysevideo
und beobachten Sie die Gliederung nach dem Goldenen Schnitt. - Untersuchen und gliedern Sie die Fuga tertia aus Ludus tonalis von Paul Hindemith und arbeiten Sie die palindromartige
Spiegelsymmetrie heraus. Konsultieren Sie anschließend die Musterlösung: Seite 1 | Seite 2 - Untersuchen Sie das Klavierstück op. 11 Nr. 1 von Arnold Schönberg und kennzeichnen Sie motivische Varianten und Formeinschnitte.
- Untersuchen Sie den Beginn des Streichquartetts op. 28 von Anton Webern und identifizieren Sie die ersten drei Reihengestalten.
- Untersuchen Sie die polytonale bzw. polymodale Kombination diatonischer Skalen in der Pastorale von Germaine Tailleferre.