Formenlehre: Einheit 13 – Romantik: Symphonik und Bühnenmusik

Programmmusik, symphonische Dichtung, Oper, Musikdrama; zyklische Form – PDF


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Formästhetik und Inhaltsästhetik

Konzepte der musikalischen Hermeneutik

Absolute Musik

Narrative Musik

Programmmusik

Musik steht als autonome Kunstform für sich selbst, bedarf keines Hintergrunds bzw. keiner übergeordneten Bedeutung

expressiv oder deskriptiv, steht für Ideen oder Assoziationen, keine konkreten Inhalte oder Bedeutungen

Darstellung oder Illustration von außermusikalischen Sujets, Musik hat eine abbildende Funktion

– Traditionelle Gattungsbezeichnungen
– Formästhetik (Leitfigur: Eduard Hanslick)

– Untertitel oder poetische Zusätze
– Form- oder Inhaltsästhetik

– Titel weist über die Musik hinaus
– Inhaltsästhetik (Neudeutsche Schule)

Symphonisches Komponieren im 19. Jahrhundert knüpft bei Beethoven an oder findet (zumeist inhaltsästhetische) Gegenentwürfe
Final-Dramaturgie: groß besetzte Steigerung und Apotheose (per aspera ad astra) oder deren gezielte Verweigerung

Orchestrale Gattungen

Programme können auf Außermusikalisches wie Literatur (Dramen, Sagenstoffe), Malerei, Naturbilder verweisen; auch Personenportraits
Mittel der Tonmalerei: Musikalische Abbildung von Ereignissen oder Gefühlen (Textdeutung, suggestive Instrumentation)

Programmsymphonie

Symphonische Dichtung

Narrative Anlage oder konkretes, ggf. verbalisiertes Programm

Stets programmatisch, suggestiver Titel

Traditionelle Mehrsätzigkeit, evtl. um einen fünften / sechsten Satz erweitert

Einsätzigkeit oder mehrteilige Einsätzigkeit

– Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 6 F-Dur op. 68 Pastorale
– Hector Berlioz: Symphonie fantastique C-Dur op. 14
– Nikolaj Rimskij-Korsakow: Symphonische Suite Scheherazade op. 35
– Pjotr Iljitsch Tschaikowskij: Manfred-Symphonie h-Moll op. 58

– Modest Mussorgskij: Eine Nacht auf dem kahlen Berge (1867)
– César Franck: Le chasseur maudit (1882)
– Florence Price: The Oak (1943)
– Werke von Liszt, Smetana, Dvořák, Sibelius, Strauss etc.

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Hector Berlioz: Symphonie fantastique op. 14 (1830), II. Satz: Un bal. Valse
Quellen: IMSLP | YouTube

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Franz Liszt: Orpheus. Symphonische Dichtung Nr. 4 C-Dur (1854)
Quellen: IMSLP | YouTube

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Richard Strauss: Till Eulenspiegels lustige Streiche. Symphonische Dichtung F-Dur op. 28 (1895)
Quellen: IMSLP | YouTube

Gattungen der Bühnenmusik

  • Hörbeispiel – Giuseppe Verdi: La traviata (1853), I. Akt, Scena ed aria der Violetta »Sempre libera«
  • Hörbeispiel – Georges Bizet: Carmen (1875), III. Akt, Recitatif et Air der Micaela »Je dis, que rien ne m'épouvante«

Romantische Oper

Musikdrama

Weiterentwicklung der klassischen Nummernoper: getrennte Stücke

Neuartiges Konzept, Text und Musik sind eng verwoben

Frankreich: grand opéra; Italien: dramma lirico, dramma giocoso

Durchkomponierte Akte ohne größere Pausen
Ouvertüren, Vorspiele, entr'actes können fehlen

Tendenz zur Ausweitung und Dramatisierung der Satztypen:
Rezitativ und Arie wird zu Szene und Arie bzw. scena ed aria
Schlichter lyrischer Arientyp ohne Rezitativ: Kavatine bzw. cavatina
Mehrteiliger Arientyp mit Episode und Stretto bzw. cabaletta

Syntax: musikalische Prosa, Stabreim statt Reim
Rezitativ und Arie verschmelzen miteinander
Leitmotivtechnik: ein Motiv steht für eine Figur bzw. einen Affekt

– Carl Maria von Weber: Der Freischütz
– Richard Wagner: Tannhäuser, Lohengrin
– Giuseppe Verdi: Rigoletto, La traviata
– Giacomo Meyerbeer: Le prophète; Georges Bizet: Carmen

– Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen
– Richard Strauss: Salome, Elektra
– Ansätze auch bei Puccini, Boito, Massenet, Chausson, d'Indy

Ballett – Musik zu choreographiertem Tanz; obligatorisch in französischen Opern, selbständige Gattung ab dem späten 19. Jahrhundert
Schauspielmusik – Ergänzende Musiknummern oder Zwischenaktmusiken zur Bühnenhandlung von Theaterstücken
Orchestersuite – Auskopplung einer Auswahl von Stücken aus Opern oder Ballettmusiken für die konzertante Aufführung

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Carl Maria von Weber: Der Freischütz op. 77 (1821), I. Akt, Szene und Arie »Leise, leise«
Quellen: IMSLP | YouTube

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Richard Wagner: Rheingold (1869), I. Akt, Szene der Rheintöchter »Lugt, Schwestern!«
Quellen: IMSLP | YouTube

Zyklische Anlage

Kategorien zyklischer Formbildung   

im Sinne von Substanzgemeinschaft (Hans Mersmann) bzw. thematicism (Rudolf Réti)

(a) in mehrsätzigen Werken

Zitate von Motiven oder Themen aus vorangegangenen Sätzen
Querverweise durch satzübergreifende Reprisen, etwa nach Art einer idée fixe (Berlioz)
Gewinnung von Themen und Motiven aus einem gleichbleibenden motivischen Kern (d'Indy: cellule),
der durch ›entwickelnde Variation‹ (Schönberg) bzw. durch ›kontrastierende Ableitung‹ (Schmitz)
ausgearbeitet wird und in jedem Teil des Werkes erscheint

Schubert: Wanderer-Phantasie; Berlioz: Symphonie fantastique; Dvořák: Neunte Symphonie

(b) in mehrsätzigen Werken

Zusammenhang zwischen aufeinanderfolgenden Sätzen oder Ecksätzen
Herstellung durch Leitmotive oder Transformation auf motivischer Ebene
Abwandlung möglich durch variative Techniken: Figuration, Permutation, Intervallstauchung, Spreizung
ggf. finale Rekapitulation oder Rekombination von Themen

Schumann: Vierte Symphonie; Liszt: Faust-Symphonie; Franck: Violinsonate; Saint-Saëns: Dritte Symphonie

(c) in einsätzigen oder
mehrsätzigen Werken

Transformation bzw. Metamorphose auf thematischer Ebene; dies impliziert Charaktervariationen
einer längeren Themengestalt (›zyklisches Thema‹), deren Parameter variabel sind

Liszt: Klavierkonzerte; Tschaikowskij: Fünfte Symphonie; Strauss: Till Eulenspiegel; Schönberg: Verklärte Nacht

Zweidimensionale Sonatenform (nach Steven Vande Moortele; auch: double-function form nach William Newman)
Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit: ein Werk ist zugleich als Sonatensatz (gegliedert in Exposition, Durchführung und Reprise)
und als mehrteiliger Zyklus wahrnehmbar (unterteilbar in Kopfsatz, einen oder mehrere Binnensätze und Finale)

Beispiele – Liszt: Klaviersonate h-Moll; Strauss: Don Juan; Schönberg: Kammersymphonien; Bartók: Drittes Streichquartett

Aufgaben zur Einheit 13
  1. Machen Sie sich ästhetische und formale Unterschiede zwischen Programmsymphonie und symphonischer Dichtung
    sowie zwischen Oper und Musikdrama bewusst.
  2. Untersuchen und gliedern Sie das Hauptthema aus dem II. Satz Un bal der Symphonie fantastique op. 14 von Hector Berlioz.
  3. Untersuchen Sie den Beginn der symphonischen Dichtung Orpheus von Franz Liszt in Bezug auf Syntax und Thementransformation.
  4. Untersuchen Sie den Beginn der symphonischen Dichtung Till Eulenspiegels lustige Streiche op. 28 von Richard Strauss
    und identifizieren Sie Leitmotive in wechselnder Instrumentation.
  5. Untersuchen und gliedern Sie den Beginn der Szene und Arie der Agathe aus der Oper Der Freischütz op. 77 von Carl Maria von Weber.
  6. Beschreiben Sie ästhetische Unterschiede gegenüber Weber in der Szene der Rheintöchter aus dem Rheingold von Richard Wagner.