Musiktheoretisches Propädeutikum: Einheit 10 – Satztechnik: Grundlagen Kontrapunkt

Mehrstimmige Satzweisen, Gattungen, Stimmführung, Dissonanzfiguren – PDF


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Kontrapunkt

Wenn der Einfall zu Ende ist, macht der Dichter einen Punkt. Der Komponist macht einen Kontrapunkt.
(Hanns Eisler)

Allgemeine Wortbedeutung: Kunst des mehrstimmigen Satzes (punctus contra punctum = Note gegen Note)

Mehrstimmige Satzweisen
Polyphonie = Gleichberechtigung der Stimmen, impliziert deren rhythmische und melodische Eigenständigkeit; keine Stimme steht im Vordergrund
Imitation = alle Stimmen ahmen einander nach und setzen nacheinander mit dem gleichen Thema ein (typische Gattungen: Kanon, Fuge)
Cantus-firmus-Satz = eine Hauptstimme (in der Regel schon zuvor existierend) wird mit homophonen oder polyphonen Nebenstimmen versehen
Homophonie = eine Hauptstimme wird mit rhythmusgleichen Nebenstimmen kombiniert (Melodie und Begleitung, typische Gattung: Choral)
Heterophonie = mehrere Stimmen sind in der Substanz identisch, es gibt aber Abweichungen in rhythmischen und melodischen Details
Unisono = Extremfall der Homophonie: Identität oder Oktavabstand aller beteiligten Stimmen (quasi Einstimmigkeit)

 

Kontrapunktische Gattungen bzw. species nach Johann Joseph Fux

rhythmisches Verhältnis

   I   

Note gegen Note (contrapunctus simplex)

1 : 1

II

Auf eine Note im cantus firmus kommen zwei Noten in der Gegenstimme

1 : 2

III

Auf eine Note im cantus firmus kommen vier Noten in der Gegenstimme

1 : 4

IV

Synkopische Verschiebung der Notenwerte der Gegenstimme zum cantus firmus

1 : 1

V

Kombination aller genannten Phänomene (contrapunctus floridus)

diverse

Kontrapunktische Gattungen nach Fux
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Bewegungsarten zweier Stimmen
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Polyphone Ableitungen   

Merkmale

Beispiel

(a) Augmentation

Vergrößerung (beispielsweise: Verdopplung) der Notenwerte

Halbe, Viertel, Halbe → Ganze, Halbe, Ganze

(b) Diminution

Verkleinerung (beispielsweise: Halbierung) der Notenwerte

Halbe, Viertel, Halbe → Viertel, Achtel, Viertel

(c) Umkehrung

vertikale Inversion (Fortschreitungsintervalle werden gespiegelt)

c d f e d cc H G A H c

(d) Krebs

horizontale Inversion (Rückläufigkeit: umgekehrte Reihenfolge der Töne )

c d f e d cc d e f d c

Stimmführung

Bewegungsarten eines Stimmenpaars
(1) Parallelbewegung (motus rectus) = Bewegung in die gleiche Richtung: die Stimmen behalten ihren Abstand bei
(2) Gegenbewegung (motus contrarius) = Bewegung in entgegengesetzte Richtungen: die Stimmen entfernen sich oder nähern sich einander
(3) Seitenbewegung (motus obliquus) = eine Stimme bleibt liegen, während die andere Stimme sich bewegt

Stimmkreuzung = eine Oberstimme verläuft vorübergehend tiefer als eine benachbarte Unterstimme (oder umgekehrt)
Stimmtausch = das Material einer Oberstimme gelangt durch Oktavierung in eine Unterstimme (oder umgekehrt)

Phänomene und Kategorien

Historisch gewachsene satztechnische Gesetzmäßigkeiten

Parallelenverbot

Die Parallelführung perfekter Konsonanzen (1, 5, 8, 12) wird generell vermieden (außer: v5–r5 oder r5–v5)

Verdopplung

Jeder Ton eines Akkords kann verdoppelt werden, wenn er nicht Leitton ist; häufigster Fall: Grundtonverdopplung

Akkorddisposition

Tendenziell liegen in einem Zusammenklang größere Intervalle unten, kleinere oben (Vorbild: Partialtonreihe)

Stimmabstände

zwischen Sopran und Alt sowie zwischen Alt und Tenor: max. Oktave; zwischen Tenor und Bass: auch größer

Leittonbehandlung

In Außenstimmen: Leitton immer schrittweise (k2) aufwärts führen; in Mittelstimmen: Abspringen möglich

Septimen zum Bass

Schrittweise oder im Durchgang erreichen; in Außenstimmen: stets schrittweise (k2 oder g2) abwärts auflösen

Dissonanzfiguren

Möglichkeiten für die Verwendung dissonierender (harmoniefremder) Töne im strengen kontrapunktischen Satz

Dissonanzfigur

Metrische Position

Merkmale und Satztechnik

Durchgang (transitus)     

auf unbetonter oder halbschwerer Zählzeit

wird schrittweise in gleicher Richtung erreicht und verlassen

Wechselnote

immer auf unbetonter Zählzeit

meist untere Nebennote, wird schrittweise in entgegengesetzter
Richtung erreicht und verlassen

Vorhalt (syncopatio)

immer auf betonter Zählzeit

Vorbereitung durch konsonierende gleiche Note in gleicher Stimme,
Auflösung schrittweise abwärts

Portamento

in der Regel unbetont

Vorausnahme (anticipatio) einer folgenden Konsonanz
als dissonierender oder konsonierender Ton

weitere Figuren

in der Regel unbetont

abspringende obere (superjectio) oder untere Nebennote (subsumptio)

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Beispiele für die Dissonanzfiguren Durchgang, Wechselnote und Vorhalt
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Musik und Text

Terminologie zur Bezeichnung der Textbehandlung in Werken der Vokalmusik

  • Syllabik = jede Textsilbe ist genau einem Ton zugeordnet (Notation von Fähnchen)
  • Melisma = eine Textsilbe wird über mehrere Töne ausgedehnt, die mit einem Bogen verbunden werden (Notation von Balken)
Aufgaben zur Einheit 10
  1. Bearbeiten Sie das Arbeitsblatt 10, das einige zu den Inhalten dieser Einheit korrespondierende Übungen enthält,
    oder bearbeiten Sie das Tutorial zum Arbeitsblatt 10.
  2. Hören Sie ein Beispiel für einen homophonen und einen fugierten polyphonen Chorsatz: