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Modelle
Es sind viele Modelle denkbar, um das komplexe Thema Sonate & Sinfonie bzw. Instrumentalkompositionen der Zeit der Wiener Klassik für den Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen didaktisch zu reduzieren. Über Qualität und Vorzug eines Modells entscheidet letztendlich die Absicht, mit der dieses Modell im Unterricht verwendet werden soll.
Grundsätzliche Überlegungen
Die Orientierung am Parameter Lautstärke und die Wahl von Sinfonieexpositionen bietet Vorteile in Bezug auf die unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern (SuS).
- Es sind keine Fähigkeiten im Notenlesen erforderlich, weswegen alle SuS die Möglichkeit haben, am Musikerleben und an den Gesprächen über Musik teilzunehmen.
- Alle SuS können lernen, Fachbegriffen ihrer Wahrnehmung entsprechend zu verwenden.
- Das häufige und intensive Hören steigert die Hör- und Konzentrationsfähigkeiten der SuS.
- Sinfonieexpositionen haben in der Regel nur eine Länge von ein bis drei Minuten. So lassen sich problemlos mehrere Expositionen in einer Schulstunde über das Hören erschließen.
- Dynamische Kontraste sind in sinfonischer Musik ausgeprägter und einfacher wahrnehmbar als in Klaviermusik.
- Es gibt vielfältige handlungsorientierte Möglichkeiten, Lautstärkeverläufe zu visualisieren (vgl. hierzu den Abschnitt unten: Methoden der Visualisierung).
Ein weiterer Vorzug besteht darin, Modelle als gedankliche Konstruktionen zum Verständnis einer komplexen Wirklichkeit zu verstehen und nicht als ein Schema, das Komponisten früherer Zeiten zum Komponieren verwendet hätten.
Lautstärkemodelle sind gegenüber dem Modell Themendualismus angemessener, wenn die folgenden Aspekte für den Musikunterricht im Vordergrund stehen sollen:
- Schülerinnen und Schüler (SuS) sollen verschiedene Kompositionen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (bzw. Musik der Wiener Klassik) kennen lernen.
- Der an der gesamten Unterrichtszeit für dieses Thema gemessene Anteil des hörenden Musikerlebens soll für alle SuS möglichst hoch sein.
- Der an der gesamten Unterrichtszeit für dieses Thema gemessene Anteil eines praktischen Handelns soll für alle SuS möglichst hoch sein.
- SuS sollen Modelle für Expositionen kennenlernen und kompetent sein in der Verwendung der dazugehörigen Fachbegriffe (Hauptsatz, Überleitung, Seitensatz, Schlussgruppe). Das Expositionsmodell und ein gutes Erinnerungsvermögen bilden ggf. die Grundlage zum Erkennen einer Sonatenhauptsatzform (Exposition, Durchführung und Reprise).
- Die Vermittlung zielt auf ein angemessenes Verständnis sowie einen konstruktiven Umgangs mit musiktheoretischen Modellen zum Formverständnis von Musik der Wiener Klassik.
Demgegenüber sollten die nachstehenden Aspekte nebensächlich sein und müssten in einem anderen Zusammenhang verhandelt werden:
- das vertiefte Kennenlernen einer spezifischen Komposition,
- Bezüge zwischen philosophiegeschichtlichen und kompositionsgeschichtlichen Ideen,
- eine motivisch-thematische und/oder harmonische Analyse sowie
- Fähigkeiten im Notenlesen sowie in der Instrumenten- und Partiturkunde.
Methoden der Visualisierung
Um die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten, kann die in diesem Lehrgang verwendete Methode Zeichnen von Lautstärkediagrammen durch funktional äquivalente, bewegungsfreudige Methoden ersetzt werden:
1. Visualisierung durch Bewegung: Aufstehen und Setzen
Erfahrungsgemäß fällt der Einstieg in das Thema leicht, wenn vierteilige Expositionen angehört und mit der folgenden Handlungsanweisung verbunden werden:
- bleibt sitzen, wenn die Musik leise ist,
- steht auf, wenn die Musik laut ist und
- achtet darauf, wie oft und wie lange ihr steht bzw. sitzt.
Im Anschluss an das Hören kann das Stehen und Sitzen über ein Unterrichtsgespräch reflektiert und an der Tafel visualisiert werden.
2. Visualisierung durch Bewegung: Stehen und Laufen
Die gleiche Funktion erfüllen die folgenden Anweisungen:
- bleibt stehen, wenn ihr leise Musik hört,
- lauft langsam im Raum, wenn die Musik laut ist und
- achtet darauf, wie oft und wie lange ihr steht bzw. langsam lauft.
Im Anschluss an das Hören kann das Stehen und Sitzen über ein Unterrichtsgespräch reflektiert und an der Tafel visualisiert werden.
3. Visualisierung durch Bewegung über farbige Servietten
Die folgende Abbildung zeigt die Anordnung farbiger Servietten oder Papiere:
Es werden farbige Servietten ausgelegt, die eine Lautstärkeanzeige im Computer symbolisieren (z.B. in einem Soundbearbeitungsprogramm). Die Schülerinnen und Schüler stehen auf der Grundlinie (grauen Kreise unten), die Laufwege sind durch Pfeile angegeben. Die Servietten sollten nicht berührt werden. Wenn Musik leise erklingt, erfolgt beim Beginn der Musik der erste Schritt nach rechts vorne (grüner Bereich), wird die Musik lauter, erfolgt ein Schritt nach links vorne und ist die Musik laut, erfolgt wieder ein Schritt nach rechts vorne (roter Bereich). Das Überspringen der mittleren Ebene ist möglich, die Servietten sollten jedoch nicht berührt werden (um nicht wegzurutschen = Verletzungsgefahr). Die Bewegungen können individuell durchaus ein klein wenig unterschiedlich ausfallen, was in einer Gruppe sehr ansprechend und im Hinblick auf die Aussteuerung unterschiedlicher Frequenzspektren auch sehr realistisch aussieht. Schülerinnen und Schüler können über die Übung mit den Tüchern zu einer sehr bewussten und differenzierten Lautstärkewahrnehmung angeregt werden. Das lässt sich im Klassenzimmer an der häufig auftretenden Unentschlossenheit beobachten, sich in ein neues Feld zu bewegen. Als Ergebnis dieser Unentschlossenheit positionieren Schülerinnen und Schüler nicht selten ihre Füße in verschiedene Lautstärkefelder.
Einführung der Fachterminologie
Mit den Handlungen können die Begriffe der Formenlehre verknüpft werden:
- z.B. schneller Wechsel von Stehen und Sitzen bzw. Stehen und Laufen oder Stehen im grünen Bereich = Hauptsatz
- erstes längeres Stehen, langsames Laufen bzw. erstes längeres Stehen im roten Bereich = Überleitung
- längeres Sitzen, längeres Stehen (im grünen Bereich) nach einer Überleitung = Seitensatz
- längeres Stehen, langsames Laufen bzw. Stehen im roten Bereich nach einem Seitensatz = Schlussgruppe
Ausgewählte Lautstärkeverläufe
Die folgenden Lautstärkediagramme geben eine kleine Auskunft über die Lautstärkeverläufe aus ausgewählten Sinfonie- und Klavierkompositionen. Sie veranschaulichen auch, dass Klaviermusik in der Regel relativ wenig dynamische Kontraste aufweist. Aufgrund der dynamischen Kontraste sowie der Instrumentation ist Orchestermusik für einen höranalytischen Einstieg in das Thema weitaus besser geeignet als Klaviermusik.