Formenlehre: Einheit 5 – Barock: Mehrsätzige instrumentale Formen und Gattungen

Sonate und Suite, Concerto, Suitensatz; Themenbau, Fortspinnungstypus – PDF


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Sonate und Suite

  • Hörbeispiel – Johann Sebastian Bach: Sonate für Violine solo g-Moll BWV 1001 (1714), Adagio und Fuga
  • Hörbeispiel – Johann Sebastian Bach: Orchestersuite Nr. 3 D-Dur BWV 1068 (vor 1723), Gavotte I
  • Hörbeispiel – François Couperin: Premier livre de pièces de clavecin (1713), Ordre No. 1, Première Courante
  • Hörbeispiel – Jean-Philippe Rameau: Pièces de clavecin, Nouvelle Suite en La (1726), Courante
  • Hörbeispiel – Domenico Scarlatti: Sonata für Cembalo G-Dur K 547 (um 1757)

Ursprung der Gattungsbezeichnungen: Sonate (ab dem Ende des 16. Jahrhunderts zunächst für einsätzige Werke), Suite (ab dem 17. Jahrhundert)
Sonate, Suite und Partita sind in der Barockzeit nicht klar voneinander abzugrenzen; Gattungsbegriffe werden häufig synonym gebraucht
In Suiten: Reihung mehrerer Tanzcharaktere oder neutraler Satztypen; häufig zyklischer Zusammenhang durch gleiche Grundtöne
Ab dem Hochbarock: Suitensätze erscheinen meist stark stilisiert und verlieren zunehmend ihren Tanzcharakter

Solo-Sonate bzw. Suite (auch: Partita, Ordre)

Triosonate

Orchestersuite (auch: Ouvertüre)

(a) Ein Melodieinstrument mit Generalbass

Zwei Melodieinstrumente mit Generalbass

Französische Ouvertüre mit
weiteren Sätzen

(b) Ein Melodieinstrument ohne Generalbass

(1) Sonata da chiesa
Kirchensonate: Folge neutraler Satztypen

(c) Ein Melodieinstrument mit obligatem Tasteninstrument

(2) Sonata da camera
Kammersonate: suitenartige Tanzfolge

(d) Ein Tasteninstrument

 

Sonate: Neutrale Satztypen

 

Suite: Folge von Tanzsätzen

1

langsam, zB: Grave

1

Allemande (mäßig schnell)

2

schnell, zB: Allegro

2

Courante (schnell)

3

langsam, zB: Adagio

3

Sarabande (langsam)

4

schnell, zB: Presto

4

Gigue (schnell)

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Johann Sebastian Bach: Französische Suite Nr. 2 c-Moll BWV 813 (1722), Allemande & Courante
Quellen: IMSLP | YouTube

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Élisabeth Jacquet de la Guerre: Pièces de clavecin, Suite Nr. 3 a-Moll (1689), Allemande & Courante I
Quellen: IMSLP | YouTube

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Georg Friedrich Händel: Water Music Suite Nr. 2 HWV 349 (1717), Nr. 13: Minuet
Quellen: IMSLP | YouTube

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Arcangelo Corelli: Sonata da camera B-Dur op. 2 Nr. 5 (1685), III. Sarabanda
Quellen: IMSLP | YouTube

Concerto

  • Hörbeispiel – Arcangelo Corelli: Concerto grosso c-Moll op. 6 Nr. 3 (1680er Jahre), Largo – Allegro
  • Hörbeispiel – Georg Friedrich Händel: Concerto grosso a-Moll op. 6 Nr. 4 (1739), Larghetto affettuoso und Allegro
  • Hörbeispiel – Johann Sebastian Bach: Brandenburgisches Konzert Nr. 2 F-Dur BWV 1047 (1721), Allegro

Solokonzert

Concerto grosso

   

Subgattungen nach Aufführungskontext

(a) Ein Melodieinstrument konzertiert

Mehrere Instrumente konzertieren,
fortwährender Wechsel des Satzprinzips

(1) Concerto ecclesiastico: geistliches Konzert

(b) Zwei Melodieinstrumente konzertieren
(Doppelkonzert)

(2) Concerto da camera: Kammerkonzert

jeweils mit Generalbass und evtl.
obligaten Streicherstimmen

Besetzungskontrast:
concertino + ripieno = tutti

beide Typen auch mit Singstimmen

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Antonio Vivaldi: L'estro armonico op. 3, Violinkonzert Nr. 6 a-Moll (1711), I. Satz: Allegro, Beginn
Quellen: IMSLP | YouTube

Suitensatzform

Zweiteiligkeit (forma bipartita)

||:   A   :||:   B   :||

(B häufig länger als A)

Typische Tonartenfolge in Dur

||:   I – V   :||:   V – vi – I   :||

Typische Tonartenfolge in Moll

||:   i – v   :||:   v – iv – i   :||   oder   ||:   i – III   :||:   III – iv – i   :||

Satztypen in Suiten

Taktarten

Merkmale und Charaktere

I. Einleitender Satz

kann auch ausgelassen werden

Praeludium, Prélude, Preludio
(auch: Praeambulum)

variabel

motorischer Eröffnungssatz, evtl. fugiert, oft konstantes Begleitmuster; formal flexibel

Ouvertüre, Ouverture, Overtura

meist 4/4

französisch: langsame Außenteile in punktiertem Rhythmus, schneller fugierter Hauptteil

Sinfonia | Fantasia | Toccata etc.

variabel

andere Typen repräsentativer, motorisch bewegter, bisweilen virtuoser Eröffnungssätze

II. Kernsatzfolge

gängige Tanztypen in barocken Suiten

(1) Allemande, Allemanda

  4/4, kurzer Auftakt  

deutschen Ursprungs, mäßig langsam, ernster Charakter, Sechzehntelbewegung

(2) Courante, Corrente

3/2 oder 3/4

italienischen Ursprungs, fließendes Tempo, schnelle Achtelbewegung, oft Hemiolen

(3) Sarabande, Sarabanda

3/4, volltaktig

spanischen Ursprungs, langsam, ruhig und verhalten, typischer Rhythmus: Viertel–Halbe

(4) Gigue, Giga, Jigg

6/8, 3/8, 12/8

englischen Ursprungs, lebhaft, meist punktierter Rhythmus, häufig fugierter Beginn

III. Optionale Sätze

französischen Ursprungs, meist zwischen Sarabande und Gigue positioniert

Menuet, Minuetto

3/4

mäßig schnelles Tempo, eleganter höfischer Stil

Gavotte, Gavotta

2/2 oder 4/4

mäßig schnelles Tempo, elegant, oft humorvoller Tonfall

Bourrée, Borea

4/4, auftaktig

schnelles Tempo, schwungvoll, oft synkopische Rhythmen

Weitere Tanztypen: Polonaise, Forlane, Loure, Passepied, Anglaise; bei französischen Komponisten auch programmatische Miniaturen
Sätze können einen reduzierteren, ebenfalls zweiteiligen Mittelteil (Trio) oder eine verzierte Wiederholung (Double) besitzen
Suitenartige Zyklen in späteren Epochen: Divertimento, Serenade, Kassation (18. Jahrhundert); Ballettsuite, Opernsuite (19. und 20. Jahrhundert)

Barocker Themenbau

Terminologie nach Wilhelm Fischer:

  • Liedtypus – Themenbildung mit kontrastierenden Elementen bzw. Phrasen; Vorläufer der klassischen Periode
  • Fortspinnungstypus – gängigstes Modell des Themenbaus, häufig in Suiten- und Konzertsätzen; Vorläufer des klassischen Satzes
    Syntax und Formfunktionen: Vordersatz (Phrase oder Kopfmotiv, evtl. wiederholt) – Fortspinnung (Sequenzierung) – Epilog (Kadenz)
Aufgaben zur Einheit 5
  1. Machen Sie sich mit den verschiedenen Gattungsvarianten, Satztypen und Tanztypen vertraut und hören Sie die Beispiele.
  2. Untersuchen und gliedern Sie die Allemande und Courante aus der Französischen Suite Nr. 2 c-Moll BWV 813
    von Johann Sebastian Bach oder aus der Suite a-Moll von Élisabeth Jacquet de la Guerre und erstellen Sie Formdiagramme.
  3. Untersuchen und gliedern Sie die Sarabanda aus der Sonata da camera B-Dur op. 2 Nr. 5 von Arcangelo Corelli.
  4. Untersuchen und gliedern Sie das Minuet in D-Dur aus der Water Music Suite Nr. 2 HWV 349 von Georg Friedrich Händel.
  5. Untersuchen Sie den Beginn des Violinkonzerts a-Moll op. 3 Nr. 6, I. Satz, von Antonio Vivaldi und bestimmen Sie die Sektionen
    eines Fortspinnungstyps.