In diesem Tutorial kannst du hören lernen, was man in der Orchestermusik als Bläserwand bezeichnet und wie die Bläserwand von Komponisten in ihren Kompositionen eingesetzt worden ist. Über das Material der Operation Beethoven lässt sich das anhand der 4. Sinfonie von Ludwig v. Beethoven sehr schön veranschaulichen.
Inhalt
Hintergrund, Mittelgrund und Vordergrund
In der musikalischen Analyse z.B. in Analysen nach Heinrich Schenker und auch gelegentlich in Instrumentationslehren wie z.B. in The Study of Orchestration von Samuel Adler wird unterschieden zwischen einem:
- Hintergrund
- Mittelgrund und
- Vordergrund.
Auch wenn sich diese Ebenen nicht immer eindeutig voneinander trennen lassen, sind räumliche Vorstellungen in der Musik sehr hilfreich. Doch zuerst schauen wir uns dazu ein Beispiel aus dem visuellen Bereich an. Das Bild unten zeigt ein Gemälde von Bernardo Bellotto aus dem 18. Jahrhundert ohne Hintergrund:
Bernardo Bellotto (1722–1780), Capriccio with a Roman Arch, etwa 1745, (CC0 | Public Domain).
Die Motive im Vordergrund (Menschen, der römische Bogen links, der kleine Wasserfall rechts) lassen sich hier recht gut von einem Geschehen im Mittelgrund (Häuser und Landschaft hinter dem römischen Bogen) und von einem Hintergrund unterscheiden (Himmel und Berge, die mit dem Himmel zu verschwimmen scheinen). Blende den Hintergrund ein, indem du den Slider nach links ziehst. Obwohl man den Hintergrund auf den ersten Blick vielleicht gar nicht bewusst wahrnimmt, bestimmt der Hintergrund in hohem Maße die Stimmung im Bild bzw. den Charakter des Gemäldes.
Musik
Musik
In der visuellen Darstellung gelingt und die Trennung der Ebenen meist recht gut, weil zweidimensionale Bilder und perspektivisches Malen unsere dreidimensionale Wahrnehmung imitieren. Da wir nicht nur gut räumlich sehen, sondern auch hören können, helfen uns räumliche Vorstellung beim Beschreiben von Musik. Doch wie muss man sich das konkret vorstellen?
Der Hintergrund (Bläserwand)
In sinfonischer Musik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts war es beliebt, mithilfe einer Bläserwand einen musikalischen Hintergrund für ein motivisches Geschehen im Vordergrund zu erzeugen. Und Blasinstrumente sind für diese Aufgabe bestens geeignet, weil man sie Aushalten langer Töne einsetzen kann. Das folgende Beispiel veranschaulicht den Sachverhalt anhand einer Stelle aus dem Kopfsatz der 4. Sinfonie von Ludwig v. Beethoven in den Noten. In der Partitur wurden alle Instrumente (mit Ausnahme der Violone) klingend notiert:
Operation Beethoven. Ein Projekt der Open Music Academy in Kooperation mit der Hofkapelle München, 2023. Ausschnitt ›Bläserwand‹, Partiturausschnitt T. 81–95 (1), CC BY
Man sieht in der Partitur nur ein- und zweitaktige Noten, über die einstimmige Melodien oder Akkorden erklingen. Obwohl ein solcher Satz in Sinfonien des 18. und 19. Jahrhunderts als Bläserwand bezeichnet wird, können sich am Malen des Hintergrunds auch Streicher beteiligen. Das kannst du in dem nächsten Beispiel sehen und hören:
Operation Beethoven. Ein Projekt der Open Music Academy in Kooperation mit der Hofkapelle München, 2023. Ausschnitt ›Bläserwand‹, Partiturausschnitt T. 81–95 (2), CC BY
Das Kriterium, das einen musikalischen Hintergrund zum Hintergrund macht, ist das der Wahrnehmung. Als Hintergrund können wir bezeichnen, wenn etwas für die musikalische Wahrnehmung nicht unmittelbar im Vordergrund erklingt. Das schließt natürlich nicht aus, dass man durch Lenkung von Aufmerksamkeit auch bewusst auf einen musikalischen Hintergrund achten kann.
Zugegebenermaßen ist die Wahrnehmung des Vordergrundes am Anfang des Beispiels wahrscheinlich nur geübten Hörerinnen und Hörer möglich, denn das Erkennen von Bassmelodien im Orchestersatz ist nicht ganz einfach. Gleichzeitig drängt sich der Hintergrund durch die Akzente auch ein wenig in den Vordergrund. Höre dir deswegen das Beispiel mehrmals an (mit der Repeat-Funktion des Players) und wechsle dabei zwischen Hintergrund und Vordergrund bewusst ab, bis du beide Ebenen gut unterscheiden kannst.
Mittelgrund
Schwieriger ist es, den Mittelgrund in dem Beethoven-Beispiel zu bestimmen. Als Mittelgrund könnten die Tonrepetitionen bezeichnet werden, die anfangs in den Blechbläsern und den Pauken zu hören sind. Sie teilen mit dem Hintergrund die melodische Unselbständigkeit (Tonrepetitionen), liegen in der Wahrnehmung jedoch aufgrund der markanten Rhythmik sowie höheren Lautstärke weiter vorne als die rhythmisch unscheinbaren Haltetöne der Bläserwand:
Operation Beethoven. Ein Projekt der Open Music Academy in Kooperation mit der Hofkapelle München, 2023.
Ausschnitt ›Bläserwand‹, Partiturausschnitt T. 81–95 (3), CC BY
Schlussbemerkungen
In diesem Tutorial wurde anhand der 4. Sinfonie von Ludwig v. Beethoven das Konzept der räumlichen Vorstellungen eines Hinter-, Mittel- und Vordergrundes veranschaulicht. Dabei ist dieses Konzept nicht nur zum Verständnis von Musik des 18. Jahrhunderts hilfreich. Auch in der Barockmusik lässt sich der Generalbass als Hintergrund für einen Solisten im Vordergrund verstehen. Und in der Rockmusik bilden oftmals E-Gitarren und Backing-Vocals den Hintergrund für die Hook-Melodie, die uns als Vordergrund im Gedächtnis bleibt.
Aufgaben
Aufgaben
Das Recherchieren von Antworten auf die folgenden Fragen wird dir helfen, die Eigenheiten der einzelnen Instrumente im klassischen Orchestersatz noch etwas besser zu verstehen.
- In den ersten drei Takten des Beispiels wird die Melodie von den Violen (Bratschen) und dem Bass (Violoncelli und Violone) gespielt. Im Bass erklingen dabei weniger Töne als in den Violen, welche Gründe mag es dafür gegeben haben?
- Im 10. Takt des Beispiels gibt es bei den Blechbläsern ein ›Loch‹ im Hintergrund (einen Pausentakt). Warum pausieren die Blechbläser genau an dieser Stelle nur einen einzigen Takt?
- In den letzten drei Takten führt die melodische Linie im Vordergrund abwärts, in den Violinen 2 dagegen gibt es einen nicht zu hörenden großen Sprung nach oben. Warum hat Beethoven in nur in den Violinen 2 diesen Sprung notiert?