Aus einer Geschichte wird Musik, aus der Musik wird ein Film

Aufgaben zu dieser Unterrichtseinheit finden Sie hier.

Ein nordisches Drama begeisterte Jean Sibelius und er komponierte 1903 eine Bühnenmusik zu dem Schauspiel Der Tod (Kuolema). Er vollendete den Valse triste Op. 44 Nr. 1 (erste Szene des Bühnenstückes) im Jahre 1904 als eigenständiges Werk. Gute 70 Jahre später, 1976, zeichnete Bruno Bozzetto einen Film zu dieser Musik – seine Bilder erzählen eine vollkommen andere Geschichte.

Stundensequenz (~ 4 bis 6 Unterrichtsstunden)

1 Dur und Moll erkennen und Melodien analysieren

In dem Konzertwalzer gibt es fünf Hauptmelodien, die von Sibelius mit sehr farbigen Akkorden unterlegt werden. Der Wechsel der Tongeschlechter kann dabei über die Hörbeispiele veranschaulicht und im Unterrichtsgespräch reflektiert werden. Die ersten Takte der Hauptmelodien lassen sich sowohl über eine Lese- als auch eine Höranalyse erarbeiten, wobei es auch möglich ist, ohne die traditionelle Notenschrift auszukommen. In diesem Fall empfiehlt es sich, graphische Partituren zu den fünf Melodien zeichnen zu lassen und diese miteinander zu vergleichen (s. Arbeitsblatt).
Ziel ist es, dass die Schülerinnen und Schüler für die Melodien eine Hörvorstellung entwickeln und sie bei der anschließenden Abschnittsanalyse des gesamten Stückes wiedererkennen und zuordnen können.
Als Abschluss dieser Stunde (oder als Auftakt zur nächsten) könnte ein Melodienquiz stehen: Es werden die Melodieanfänge in unterschiedlicher Reihenfolge gespielt, vielleicht auch in verschiedenen Tonlagen/Registern/Tempi, wobei die Schülerinnen und Schüler die Melodien erkennen und über eine Kennzeichnung bestimmen sollen.

2 Melodien- oder Formanalyse

Ein schönes Spiel um den Valse triste nochmals ganz anzuhören: Während das Stück erklingt, notieren die Schülerinnen und Schüler die Reihenfolge der Melodien (z.B. Kennzeichnung über Buchstaben). Es empfiehlt sich als Lehrkraft anzuzeigen, welcher der elf Abschnitte gerade erklingt. So entsteht eine Formanalyse, bei der die Aufmerksamkeit auf das Erklingen der Melodien fokussiert wird.
Nachdem die Schülerinnen und Schüler die Melodien zugeordnet haben, kann wiederum die Geschichte von Paavali in Einzelszenen an die Musik herangetragen werden (s. Arbeitsblatt). Meiner Erfahrung nach ist hierzu Partnerarbeit sehr gut geeignet.
Die verschiedenen Lösungsansätze können miteinander (beispielsweise über den Leitbegriff Stimmigkeit) diskutiert werden.

3 Umsetzung der "Formanalyse" in eine stumme Tanz-/Theaterszene

Die zuvor entstandene Zuordnung der Geschichte Paavalis zu den Abschnitten der Musik kann durch eine szenische Interpretation nochmals verdeutlicht werden. Hier empfehlen sich kleinere Gruppen von ungefähr fünf Personen. Die unterschiedlichen Rollen (Paavali, Mutter, Tod, Mann, Tür...) können übernommen und pantomimisch dargestellt werden. Ziel ist es, die zuvor angefertigte Formanalyse umzusetzen sowie sich lange in verschiedenen Handlungen mit einer Musik zu beschäftigen.

4 Erarbeitung der Umsetzung des Films

In dem Film wird einerseits so manche Melodie beinahe in Mickeymousing umgesetzt, andererseits wirken die Dur- und Mollpassagen wie eine tiefgründige Ebene zur vordergründigen Handlung. Fassen Sie mit Ihren Schülerinnen und Schülern die Geschichte im Film zusammen, können Sie Einzelszenen herausgreifen, die Umsetzung der Melodien zum Bild diskutieren, die Szenen analysieren, in denen Mickeymousing zu beobachten ist (Achtung: Am Anfang war die Musik, erst anschließend entstanden die Bilder dazu) und/oder können die Filminhalte zum Thema Dur und Moll in Beziehung setzen.

Informationen und Materialien zu den Unterrichtsstunden

Die originale Geschichte zum Valse triste von Jean Sibelius

Der junge Paavali sitzt am Bett der Mutter, die im Sterben liegt. Während des Sterbens phantasiert Paavalis Mutter von einer Ballszene. Sie vernimmt leise Musik, steht auf und beginnt zu tanzen. Auf dem Höhepunkt des Tanzes klopft es an der Tür: Es ist der Tod, mit dem die Mutter – im Glauben, es handle sich um ihren verstorbenen Mann – immer wilder tanzt. Schließlich führt der Tod sie aus dem Raum. Als Paavali, der während dieser Szene am Bett seiner Mutter eingenickt ist, erwacht, ist die Mutter aus dem Leben geschieden.

Melodieanalyse

Je nachdem welche einzelnen Ideen Sie aus der Stundensequenz nehmen, brauchen Sie unterschiedliche Benennungen für die Melodien. Zahlen 1, 2, 3, 4 und 5 könnten beispielsweise die Reihenfolge der Melodien wiedergeben, wie sie in dem Walzer erklingt. Die Buchstaben A, B, C, D, E hingegen könnten die Reihenfolge repräsentieren, in der die Schülerinnen und Schüler die Melodien kennen lernen.

Melodie 1/D

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  1. Melodie (D) erklingt bei 14 Sekunden.

Die Melodie beginnt mit einer schwebenden fis-Moll-Tonalität, wobei mit schwebender Tonalität im Sinne Schönbergs gemeint ist, dass fis-Moll für das Hören im Vordergrund steht, obgleich in der Orchesterbegleitung kein fis-Moll Akkord erklingt. Diesen Eindruck erreicht Sibelius durch die Stufen ii-V-iv in fis-Moll, die wie ein Kadenzanlauf mit einer trugschlüssigen Wendung wirken.
in den folgenden beiden Takten weicht die Musik in die Paralleltonart A-Dur aus, was wiederum durch eine ii-V-I-Kadenzwendung erreicht wird. Während dieses A-Dur im Hinblick auf den vorangegangenen Moll-Kontext wie ein Hoffnungsschimmer klingt. wirkt der sich anschließende chromatische Abgang a-gis-g-fis wie ein Zusammenfallen der Hoffnungen und eine Rückwendung ins Moll. Auch dieser Effekt wird bewirkt durch das Stehenbleiben der Musik in den Takten 7 bis 9 auf der zweiten Stufe einer h-Moll-Kadenz.
Doch letztendlich löst Sibelius auch diese Erwartung nicht ein, er beendet die Melodie in G-Dur, der Tonart der Vorzeichnung, die im Hinblick auf den fis-Moll-Anfang wie eine Region in der Tonart des Neapolitaners wirkt (G-Dur ist tiefalterierte II. Stufe in fis-Moll). Dies dürfte ein Grund sein, warum sich mit diesem G-Dur keine freudige Schlusswirkung verbindet. Ein weiterer Grund liegt in der eigentümlichen Quintlage der Begleitung sowie dem Erstarren der Streichermelodie auf dem Ton d, während das Cello die Melodie in einer sehnsüchtigen Tenorlage zu Ende singt.

Für die Schülerinnen und Schüler ist dies meist die anspruchsvollste Melodie. Erarbeiten Sie hier die Binde- und Haltebögen und klatschen Sie zu der Melodie das Dreiermetrum mit der Klasse.

Melodie 2/A

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  1. Melodie (A) erklingt bei 1:19 min

Die zweite Melodie wirkt im Vergleich zur ersten Melodie sowohl rhythmisch als auch harmonisch kontrastierend. Rhythmisch, weil die Vortragsanweisung des Absetzens der Töne dem triplierten Metrum hier einen tänzerischen Charakter verleiht und harmonisch, weil der abgebildete Abschnitt in G-Dur erklingt. Diesen freundlichen Dur-Eindruck vermag auch die formale Ausweichung nach h-Moll am Ende der 16-taktigen Melodie nicht zu stören, da diese durch die sich anschließende Wendung zurück nach G-Dur zur Wiederholung der Melodie transitorisch bzw. vorübergehend klingt.

Das Pianissimo gepaart mit dem Staccato wird gerne von Klassen ebenso leise mit den Silben "tz tz" mitgesungen. Ebenso können Sie die Schülerinnen und Schüler den Rhythmus leise mit einem Finger in die Hand klatschen oder sogar auf Zehenspitzen schleichen lassen. (Diese Übung korrespondiert später mit dem Film von Bozetto bei 1:34).

Melodie 3/E

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  1. Melodie (E) erklingt bei 2:09 min

Die dritte Melodie bildet einen noch stärkeren Kontrast zum Anfang und mutet allein schon aufgrund des Portamento-Beginns wie der Zuckerguss einer Wiener Kaffeehaus-Musik an. Dieser musikalische Kontrast zur Melodie 1 könnte auch als ästhetischer Bruch empfunden werden, der an das Diktum eines Rezensenten der Musik von Gustav Mahler erinnert, der behauptete, Mahlers Musik stürme durch die die Pfützen der Trivialität, dass es hoch aufspritzt.

Spielen Sie zum Üben des Wiedererkennens die Melodie am Klavier in verschiedenen Oktaven. Lassen Sie die Klasse assoziieren, welches Tier in welcher Oktave tanzt. Oder regen Sie an, dass jeder/jede eine Drehung während der fünf Takte machen soll, die die Melodie in ihrer Gestalt aufgreift.

Melodie 4/B

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  1. Melodie (B) erklingt bei 2:30 min

Diese Melodie verbindet in Ihrem Auf und Ab den Wiener-Walzer mit der Stimmung des Anfangs bzw. der Melodie 1. Denn nach einer viertaktigen Steigerung im Walzerrhythmus scheint die Musik über die Chromatik g-fis-f auf eine Art in sich zusammen zu fallen, wie es in der Melodie 1 dem Hoffnungsschimmer erging, der sich mit der Kadenzwendung nach A-Dur verband. Auch die Harmonik bzw. der halbverminderte Septakkord als ii. Stufe einer Kadenzwendung nach Moll bildet einen Bezug zur Melodie 1.

Besprechen Sie den Aufwärtszug, die Punktierungen, die melodische Sequenz sowie das folgende, langsame Ab. Die Schülerinnen und Schüler haben viel Freude, diese Melodie in eine Mimik umzusetzen. Diese Übung könnte auch vor der Besprechung der Melodie stehen, sodass das "Zusammenfallen" ab dem fünften Takt bereits erlebt wurde.

Melodie 5/C

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  1. Melodie (C) erklingt bei 3:34 min

Dieser melodische con moto Abschnitt verbindet Elemente aus beiden bisher beschriebenen Charakteren: Die Staccato-Artikulation der Melodie 2 (T. 1–4) und die Engräumigkeit und harmonischen Bezüge (Neapolitaner-Kadenz) der Melodie 1 (T. 5–8).

Des Öfteren verwechseln Schülerinnen und Schüler deswegen auch Melodie 5/C mit Melodie 2/A, insbesondere, wenn "nur" auf das Staccato gehört wird. Sie können hier gut den Unterschied zwischen "Staccato" und "Marcato" besprechen.
Üben Sie vor allem den Wechsel dieser beiden Melodien in verschiedenen Oktaven, bis die Klasse sicher in ihren Antworten ist.

Formanalyse

Die nächste Abbildung zeigt die Unterteilung des Valse triste in elf Melodie-Abschnitte. Natürlich sind auch andere Einteilungen möglich, doch hat sich diese Einteilung aufgrund des Höreindrucks der Schülerinnen und Schüler in meinem Unterricht bewährt:

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Die Zuordnung der einzelnen Handlungen/Bilder der Geschichte Paavalis zu dem ganzen Stück sowie die Umsetzung in eine szenische Interpretation gelingen mithilfe der Formanalyse gut, wenn mit "gut" gemeint ist, dass die Ideen der Schülerinnen und Schüler sich tatsächlich an der Musik entlang bewegen. Die Partnerarbeit (Zuordnung der Geschichte zum Formablauf) und auch die Gruppenarbeit zur szenischen Interpretation (Umsetzung des Formablaufs in Tanz/Theater/Pantomime) können sowohl als kurzer Impuls innerhalb einer Stunde als auch "stundenfüllend" erarbeitet werden. In meinem Unterricht habe ich verschiedene Formen je nach Motivation der Klasse ausprobiert – vieles ist hier denk- und machbar.

Filmanalyse

Allegro non troppo ist der Name eines italienischen Spielfilms von Bruno Bozzetto aus dem Jahr 1976. Es werden darin innerhalb einer Rahmenhandlung mehrere klassische Musikstücke als Filmmusik intellektuell-hintergründiger, komödiantischer, sarkastisch-böser, sexuell anzüglicher bis tief-trauriger Kurzfilme eingesetzt. Bei dem Kurzfilm zum Valse triste lässt Bozzetto eine Katze die Hauptrolle übernehmen...

Gut zu besprechende Filmmomente sind:

"Andere" Geschichte: In einem Neubaugebiet voller moderner Hochhäuser steht eine kleine Ruine eines Familienhauses. Dort bewegt sich eine Katze durch die teils eingefallenen Räume. Die Katze erinnert sich immer wieder an die Zeit, als das Haus noch intakt war und "ihre" Menschen darin wohnten. Zuletzt verschwindet die Katze und die Ruine wird abgerissen.

Mickeymousing: Wenn die Katze bei 1:34 min durch die Ruine streift, erklingt die Melodie 2/A. Hier zeichnet Bozetto das Gehen der Katze so, dass das Auftapsen ihrer Pfoten meist genau mit dem Rhythmus des Themas zusammenfällt (vergleichbar so auch bei 2:51 min).

Melodien und Instrumentation:

  • Gibt es eine Zuordnung von Themen zu bestimmten Handlungssträngen/Bildern? (z.B. Melodie 3/E)
  • Wie setzt Bozetto die Dynamik um? (2:16 min)
  • Wie oft erklingt eigentlich der Hauptgedanke der Melodie 3/E hintereinander? Welches Instrument spielt jeweils? Inwiefern setzt Bozetto dies um?
  • Wie setzt Bozetto die Meldie 5/C um?

Dur/Moll: Gleichsam mit Realität und Traum korrespondieren die Eindrücke von Dur und Moll. Während die traurige Realität in Moll assoziiert wird, erklingt die schönen Erinnerungen im süßen Dur wienerischer Tanzmusik.

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