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Chris Lake, einer der bekanntesten Vertreter des Tech House, Quelle: Wikimedia
Tech House gehört ohne Zweifel zu den polarisierendsten, aber auch populärsten Stilen (Stand 12/2022) innerhalb der elektronischen Tanzmusik. Während es für die einen genau die richtige Mischung zwischen den dunklen, härteren Sounds von Techno und den groovigen, eher softeren Beats von House ist, sagen viele Hörer:innen dieser Mischung reine Funktionalität, Kommerzialisierung und wenig Diversität nach. Wie viele andere Stile auch hat Tech House eine lange Geschichte und Entwicklung hinter sich und sich von seinen Ursprüngen ein ganzes Stück entfernt. In diesem Artikel soll es um die aktuelle, polarisierende Variante dieses Stils gehen.
Merkmale
Moderner Tech House bewegt sich ca. zwischen 124 und 130 bpm, steht im 4/4-Takt und hat einen eher dunklen Charakter. Der Stil ist wegen seiner groovigen Basslines, dem Swing-Feeling auf den 16-teln und den vergleichsweiser softer klingenden Beats aber auf jeden Fall als ein Subgenre von House und nicht Techno anzusehen.
Im Folgenden sollen die genretypischen Merkmale anhand eines Demo-Loops von 125 bpm herausgearbeitet und dargestellt werden.
Drums
Der House-typische Beat fällt beim Hören sofort auf: eine four-to-the-floor-Kickdrum, ein Clap-Sound auf die 2 und 4, sowie eine Hi-Hat auf jedem Offbeat. Unterstützt wird der Groove von einem Conga- und Shaker-Pattern und Akzenten weiterer oder derselben Clap- und Snare-Sounds. Im zweiten Drop wird dies mit der typischen Open-Hi-Hat und dem Ride-Becken des Roland TR-909-Drumcomputers ergänzt, um mehr Energie als im ersten Drop zu erzeugen. Beides – aber vor allem die Hi-Hat – ist fast Pflicht für Tech-House-Tracks. Abgesehen davon hören wir im Build-Up noch eine auf durchgehende 16tel programmierte Snare-Drum, ein sogenannter "Snareroll".
Ab und zu wirken Produzent:innen dem repetitiven oder maschinenhaften Charakter durch Akzente auf bestimmten Zählzeiten oder komplexere Patterns entgegen.
Hervorzuheben ist außerdem, dass den Drums ein sehr "tightes" Feeling zugrunde liegt, was durch das sehr bewusstes Timing der Soundlängen erreicht und durch für Tech House typische starke Kompression auf dem Drum-Bus verstärkt wird. Zu hören ist dies daran, wie die Hi-Hats und die Percussion quasi in jede nächste Viertel hineingesogen und dann von Kick und Clap förmlich verdrängt werden – vor allem im zweiten Drop.
Bassline
Der Bass wird von einer Software-Emulation des Minimoog-Synthesizers gespielt und hat einen dunklen, aber für Tech-House doch recht prägnanten Sound. Die Bassline ist sehr simpel gehalten und stellt das vordergründige melodische Material dar. Der Bass kann in dieser Funktion im Lauf der Tracks von Vocals oder Lead-Synthesizern abgelöst werden, muss aber nicht. Zentral ist die Simplizität und Repetitivität der Bassline, da sie so leicht ins Ohr geht und wenig bewusste Aufmerksamkeit vom Zuhörer verlangt. Damit der Loop auf Dauer nicht langweilig wird, wird im Break ein Oszillator nach und nach per Highcut reingefiltert, der eine Oktave und eine Quinte höher gestimmt und recht stark gedetuned ist.
Zusätzlich hört man zur Unterstützung der Bassline und zur Markierung jeder Vier-Takt-Phrase einen einzelnen, stark verhallten Basston eines Fm-Synthesizers (z.B. T5, Zz 2), dessen Hall anschließend rückwärts abgespielt zur nächsten Phrase hinleitet. Hinzu kommt zu Beginn des zweiten Drops noch ein Reese-Bass-Sound, welcher nur ein Vier-Ton-Motiv auf dem Grundton E in verschiedenen Oktaven spielt und zu Beginn seinen Filter öffnet. Diese beiden Sounds an sich und ihr spärlicher Einsatz sind Techno-typische Stilmittel, die hier zum Einsatz kommen und den Track dadurch Richtung Tech House rücken.
Vocals
Das Vocal-Sample mit dem Text "I can feel the rhythm" tritt nur am Ende des ersten Drops und zu Beginn des zweiten Drops auf und wird zuvor in einem dance-typischen, sich verkürzenden Loop im Build-Up angekündigt. One-Liner wie diese – gesungen mit einer gewissen Soul-Attitüde – und ihre Position am Ende oder zu Beginn neuer Phrasen sind House-typisch. Bemerkenswert an diesem Vocal ist neben der Tonhöhen-Veränderung (Pitch-Shifting) die künstliche Veränderung des Formanten (Formant Shifting), was dem Track eine modernere Ästhetik gibt.
Vocals kommen im Tech House recht häufig vor und können anders als in unserem Beispiel auch länger am Stück auftreten. Oftmals bestehen diese dann aus mehr als nur einer einzelnen Zeile und werden gleichermaßen gesungen oder nur gesprochener Text; selten auch gerappt. Sie können sowohl im Break als auch im Drop auftreten und den Bass in seiner Funktion als vordergründiges melodisches Material ablösen. Außerdem sind sie wahrscheinlich ein Grund dafür, warum dem Genre eine gewisse Kommerzialisierung nachgesagt wird.
Abgesehen davon beinhaltet Tech House weniger melodische Elemente. Oft sind dies nur kurze Motive oder Samples, die meistens eher vereinzelt und nicht länger am Stück auftreten und sich nicht selten mehr auf den Bassbereich konzentrieren.
Akkorde
Harmonische Informationen kommen im Track kaum vor. Lediglich im Break hört man ein anschwellendes Synthesizer-Pad, welches nur einen Em-Quartsextakkord spielt. Ein derartiger Verzicht auf harmonische Informationen und Entwicklungen und die damit einhergehende Unterstützung der repetitiven Form des Tracks ist genretypisch.
Arrangement und Entwicklung im Verlauf
Hört man sich nun Drums, Bass, Fm-Bass, Vocals und das Synth-Pad zusammen an, so fallen zwei Aspekte auf:
- Es gibt wenig Kontraste.
- Die zentralen Elemente sind Bass und Drums und bilden den Track zum größten Teil schon ab.
Genau diese zwei Punkte gehören zu den wichtigsten Merkmalen des Genres. Die Konzentration liegt auf einem solide ausgearbeiteten Drum-Beat mit einer groovigen und stimmigen Bassline. Abwechslung und Spannung wird mit dem Einsatz von Lautstärke-/Filter-/Hall-/ und Delay-Automationen (vor allem im Break) erreicht. Die weiteren Elemente können zwar eine zentrale Rolle einnehmen (s.o.), dienen aber eher zur Unterstützung der Ästhetik, dem Markieren von Formteilen oder Phrasen, dem Entgegenwirken von zu viel Monotonie und dem Auf-und Abbau von Energie, wie wir im Folgenden sehen werden.
Der zweite Drop bekommt wie oben bereits erwähnt durch den Einsatz der 909-Sounds in den Drums mehr Drive und Energie, was durch den Einsatz des Reese-Synth-Basses und des Vocal-Drone-Effekts auf "Rhythm" unterstützt wird.
"Drone-Sounds" können synthetisch oder sample-basiert sein und beschreiben einzelne lange Töne (quasi eine Art Orgelpunkt), die im Hintergrund stehen und dem Track dadurch mehr Tiefe und Fülle geben sollen. Nicht selten werden sie in dieser Funktion auch von tonal nicht eindeutig zu bestimmenden Sounds abgelöst, wobei man in diesem Fall eher von "Texture-Sounds" sprechen würde. Drones und Textures sind typisch für progressivere Genres wie z.B. Techno, Tech House, Progressive House. Die Wahl des einzelnen Sounds hängt von der gewünschten Ästhetik ab.
Die Vocal-Drone ist wie der Rest sehr simpel und besteht nur aus dem Wort "Rhythm", was mit einem Tremolo-Effekt und sehr viel Hall versehen ist und lässt die Töne E und D im Wechsel erklingen. Im Build-Up wechselt die Vocal-Drone die Töne A und G ab und wird noch von einer rückwärts abgespielten Hallfahne ergänzt, die zum Haupt-Vocal im 2. Drop hinleitet. Daneben ertönt in diesem Formteil noch ein anschwellender, Techno-typscher hornartiger Synth-Sound, der ebenfalls nur ein E spielt.
Abgesehen davon markieren noch ein White-Noise und ein weiterer, hornartiger Synth-Soundeffekt den Beginn und das Ende der jeweiligen Formteile. Solche Effekte sind typisch für jede Form von Dance Music, jedoch sei darauf hingewiesen, wie diese Sounds sich in die gesamte klangliche, dunklere Ästhetik des Tracks einbinden.
Mehrspurplayer
Der nachfolgende Player bietet die Möglichkeit, alle Elemente nach Belieben stummzuschalten, einzeln oder in verschiedenen Kombinationen anzuhören oder mit Hilfe des Faders in der Lautstärke zu regulieren, um einzelne Aspekte der vorangegangen Analyse noch besser nachvollziehen zu können. Dahinter sind vom Klangbeispiel Tech House sowohl die Masterdatei als auch die einzelnen Instrumente als Stems unter CC0-Lizenz zum Download bereitgestellt. Die Wav-Files können in eine DAW (z.B. Waveform) geladen werden und stehen zum freien Weiterarbeiten zur Verfügung. Es empfiehlt sich dabei, das Songtempo in der DAW auf 125bpm zu stellen, da dann alle Spuren genau auf dem Grid liegen.
Mau P – Drugs From Amsterdam
Mau P – Drugs From Amsterdam (2022) | Quelle: Youtube
Masteria – Get My Mind Right
Quelle: YouTube
Fisher – Losing It (wahrscheinlich der bis dato bekannteste und zugleich polarisierendste Tech House Track)
Fisher – Losing It (2018) | Quelle: Youtube
Diple & SIDEPIECE – On My Mind (gutes Beispiel für den Einsatz von mehr Vocals und melodiösen Elementen)
Diple & SIDEPIECE – On My Mind (2021) | Quelle: Youtube
Housey Doingz – Gobstopper (ein Oldschool-Track von 1996, bietet trotzdem viele Parallelen zu heutigem Tech House)
Housey Doingz – Gobstopper (1996) | Quelle: Youtube