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Robert Schumann: Sinfonie Nr. 2 C-Dur Op. 61

Quelle: Wikimedia

Robert Schumann (1810–1856) war ein Komponist, Musikschriftsteller und Musiker (Pianist und Dirigent), der mit Ludwig v. Beethoven, Franz Schubert und Felix Mendelssohn Bartholdy zu den bekanntesten Komponisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zählt. Während Schumanns Klavierwerke und Lieder schon früh geschätzt wurden, stand der Komponist im Hinblick auf seine Orchesterwerke lange Zeit in der Kritik. Das mag zum einen daran gelegen haben, dass Schumann nicht zu den besten Dirigenten seiner Zeit gehörte (und er seine Orchesterkompositionen daher nicht so wirkungsvoll aufzuführen vermochte), zum anderen, dass Gustav Mahler Schumanns Sinfonien einer Bearbeitung unterzogen hat, um diese seinen eigenen, spätromantischen Klangvorstellungen anzupassen.

Schumann komponierte seine zweite Sinfonie 1845/1846, kurz nach seiner Übersiedlung nach Dresden. Er war in dieser Zeit gesundheitlich angeschlagen: »Die Symphonie schrieb ich im Dezember 1845 noch halb krank; mir ist's, als müßte man ihr dies anhören. Erst im letzten Satz fing ich an mich wieder zu fühlen; wirklich wurde ich auch nach Beendigung des ganzen Werkes wieder wohler«. Neben der Krankheit werden im Zusammenhang mit dieser Sinfonie auch immer wieder Rezeptionen erwähnt (Bach, Schubert und Beethoven).

Doch diese aus der Biografik gewonnenen Informationen helfen wenig, die Sinfonie in ihrer Form und ihren Besonderheiten zu verstehen. Hier kannst du dich mit den Sätzen dieser Sinfonie beschäftigen. Viel Spaß beim Studieren!

Inhalt

1. Satz

1. Satz: Sostenuto assai – Allegro, ma non troppo

Einleitung
Hs
Ül
Ss
Sg
Hs
Ül
Ss
Sg
Df
Hs
Ül
Ss
Sg
Coda
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Robert Schumann, Sinfonie Nr. 2 C-Dur Op. 61, 1. Satz, Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch
Live-Konzertmitschnitt der Hochschule für Musik und Theater München 2020

Die Sinfonie beginnt mit einem Sostenuto assai bzw. einer langsamen Einleitung in der Ausgangstonart C-Dur. Sie lässt sich in drei Abschnitten verstehen: Auf einen ersten Abschnitt, in dem eine Bläsermelodie durch Streicher begleitet wird, folgt ein rhythmisch, dynamisch und vom Tempo her kontrastierender zweiter Abschnitt, der in einen dritten Abschnitt bzw. in die Vorbereitung des Allegro-Satzes mündet.

Der Kopfsatz erinnert in der Großform an traditionelle Gestaltungen, bestehend aus einer Exposition (gelbe/grüne Abschnitte), Durchführung (erster roter Abschnitt), Reprise (gelb/grün). In Exposition und Reprise sind die traditionellen Formfunktionen Hauptsatz (Hs), Überleitung (Ül), Seitensatz (Ss) und Schlussgruppe (Sg) dagegen nur schwer zu erkennen, wenn man gewöhnt ist, auf einprägsame (und gegensätzliche) Melodien zu achten. Für die Form entscheidend sind vielmehr harmonische Ereignisse (z.B. die flüchtige Kadenz in der Ausgangstonart am Ende des Hs, die besonderen Modulationen in der Ül, die Bläserfarben zum Markieren der Oberquinttonart im Ss sowie das Crescendo zur Schlusskadenz in der Sg). Interessant ist die Coda (zweiter roter Abschnitt), deren Anfang motivisch an den Beginn der Durchführung erinnert und der die Form des Allegros von der klassischen Dreiteiligkeit zur Vierteiligkeit erweitert.

2. Satz

2. Satz: Scherzo. Allegro vivace

A
A
B
A
B
A
B
C
C
D
C
A
B
A
B
E
E
F
E
A
B
A
B
Coda
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Robert Schumann, Sinfonie Nr. 2 C-Dur Op. 61, 2. Satz, Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch
Live-Konzertmitschnitt der Hochschule für Musik und Theater München 2020

Dem Kopfsatz folgt ein schnelles und rhythmisch prägnantes Scherzo in C-Dur. Das Scherzo als Gattung wiederum steht in der Tradition des Menuetts, das in Sinfonien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts häufig als 3. Satz anzutreffen ist.
Die Form des Menuett ist äußerlich zweiteilig (erkennbar an Doppelstrichen und Wiederholungen), in der Ausgestaltung meist dreiteilig (durch die Wiederkehr des Anfangs bzw. eine Reprise). Die Form des Menuetts wird in Formenlehren auch als dreiteilige Liedform oder Menuettform bezeichnet und in Buchstaben wie folgt chiffriert:

Ausgeschrieben müsste sie eigentlich so chiffriert werden:

A
A
B
A
B
A

Im 2. Satz der 2. Sinfonie deutet Schumann allerdings den letzten A-Teil nur kurz an und überführt ihn in einen Abschnitt , der dem B-Teil recht ähnlich ist.

Dem Menuett folgt ein Trio mit identischer Form, früher jedoch in reduzierter Besetzung und mit dominierenden Holzbläsern. Zur Chiffrierung sind die folgenden Buchstaben gebräuchlich:

Ausgeschrieben müsste es wie folgt chiffriert werden, wobei Schumann auf die Wiederholung des zweiten Teils (D-C) verzichtet:

C
C
D
C
D
C

Nach der Wiederkehr des Menuetts (traditioneller Weise ohne Wiederholungen) lässt Schumann noch ein weiteres Trio ohne Wiederholung des zweiten Abschnitts folgen:

E
E
F
E
F
E

Und mit einer Wiederkehr des ersten Menuetts sowie einer Coda beschließt Schumann diesen motorischen schnellen Satz.

Eine Besonderheit des Scherzo sind die zwei Trio-Abschnitte. Betrachtet man das erste Menuett (gelb/rot) als A-Teil und die Trios als B-Teil (grün) und C-Teil (blau), lässt sich die Form des Scherzo auch als eine Art Rondo verstehen (A-B-A-C-A), in dem das erste Menuett den Refrain und die Trios die Couplets bilden:

Refrain (A)
Couplet (B)
Refrain (A)
Couplet (C)
Refrain (A)
Coda
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Robert Schumann, Sinfonie Nr. 2 C-Dur Op. 61, 2. Satz, Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch
Live-Konzertmitschnitt der Hochschule für Musik und Theater München 2020

3. Satz

3. Satz: Adagio espressivo

A
B
C
A
D
A
Fugato
A
C
A
D
A
Coda
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Robert Schumann, Sinfonie Nr. 2 C-Dur Op. 61, 3. Satz, Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch
Live-Konzertmitschnitt der Hochschule für Musik und Theater München 2020

In der gleichnamigen Molltonart (c-Moll) steht als 3. Satz der Sinfonie ein Adagio espressivo. Die Melodie, die zum Beginn des Satzes erklingt, beginnt ausdrucksstark mit einer kleinen Sexte:

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Auch dieser Satz hat etwas rondohaftes, denn diese charakteristische Melodie mit dem Sextsprung (A-Abschnitte) erklingt insgesamt sechsmal, jeweils dreimal vor und nach dem Mittelteil (rot), dessen Fugato-Satztechnik stark kontrastierend wirkt.
Eine Besonderheit des Satzes liegt in der Reprise, die über den Fugato-Linien der Streicher sich quasi hereinschleicht. Der Verzicht auf den B-Teil an dieser Stelle verstärkt dabei den Eindruck, man befände sich plötzlich schon wieder inmitten der Reprise .

Reminiszenzen

Exkurs: Analyse durch Reminiszenzen

Analyse durch Reminiszenzen (Mozart, Schumann, Bach, Beethoven ...)

In Analysen werden als Ursachen für die Struktur der 2. Sinfonie Schumanns oftmals zwei Gründe genannt. Zum einen Schumanns Gesundheitszustand, zum anderen Bach und Beethoven. Für den ersten Grund sprechen zahlreiche Selbstzeugnisse, z.B. die folgende Briefstelle:

Die Symphonie schrieb ich im Dezember 1845 noch halb krank; mir ist's, als müsste man ihr dies anhören. Erst im letzten Satz fing ich an, mich wieder zu fühlen; wirklich wurde ich auch nach Beendigung des ganzen Werkes wieder wohler.

Der Vergleich von Gesundheitszustand und musikalischer Struktur ist dabei sowohl wissenschaftstheoretisch als auch im Hinblick auf einen möglichen Erkenntnisgewinn äußert fragwürdig (insbesondere bei professionell arbeitenden Musikschaffenden).

Für die polyphone Struktur der Sinfonie wird gerne darauf hingewiesen, dass sich Schumann in der Zeit ihrer Entstehung mit Bach beschäftigt hat. Der Verweis auf die Kontrapunktik Bachs im Hinblick auf die kontrapunktischen Strukturen in der 2. Sinfonie ist ebenfalls problematisch, insbesondere dann, wenn Reminiszenzen als Beleg angeführt werden. Für den 3. Satz ist es z.B. üblich, auf den Beginn der Triosonate aus dem Musikalischen Opfer von Bach zu verweisen:


Aufnahme (Sample):

Aufnahme Adagio espressivo:


Unergiebig sind solche Analysen, weil meist nur kleine Teile und vereinzelte Parameter verglichen werden und Übereinstimmungen zeigen, wie hier z.B. die Tonart und der kleine Sextsprung in der Melodie des ersten Taktes. Doch die kleine Sexte als Ausdrucksintervall wird von Schumann auf gewöhnliche Weise eingesetzt (als Verbindung von Quint- und Terzton einer Molltonart), die gleiche Tonart ist kein tragfähiges Indiz für eine Vorbildfunktion der Triosonate und ab dem zweiten Takt spätestens klingen die Beispiele gänzlich anders. Jedoch schon in den ersten beiden Takten sind die kompositorischen Kontexte verschieden:

Parameter Bach Schumann
Taktart 3/4 2/4
Harmonik Tonschritte im Bass (Regola del'ottava) Sprünge im Bass (Kadenzharmonik)
Vorhalt Vorhalt c, Auflösung h Vorhalt h, Auflösung c
Zweitakter erster Zweitakter ohne Schlusswirkung erster Zweitakter endet halbschlüssig (dominantisch)
Fortführung über Tonleiter über Sequenz

Der unterschiedliche Klangeindruck für diese beiden Passagen lässt sich daher nur neutralisieren, wenn man die Aufmerksamkeit mithilfe biographischer Hintergrundinformationen auf das Detail der kleinen Sexte richtet. Dermaßen stark selektive Vorgehensweisen allerdings entwerten die Funktion musikalischer Analyse, indem sie diese lediglich in den Dienst der Exemplifikation biographischer Sachverhalte stellt.

Auf vergleichbare Weise problematisch sind die in der Literatur behaupteten Reminiszenzen auf das Lied An die ferne Geliebte von L. v. Beethoven. Dabei soll nicht grundsätzlich bestritten werden, dass Schumann Anregungen für die Art der Komposition seiner 2. Sinfonie gehabt haben mag (z.B. durch das Studium der Großen C-Dur-Sinfonie von Franz Schubert oder durch ein allgemeines Interesse am Kontrapunkt). In Frage gestellt wird jedoch, ob problematische Nachweise und oberflächliche Ähnlichkeiten einen Erkenntnisgewinn für die hermeneutische Analyse haben können.

4. Satz

4. Satz: Allegro molto vivace

Schlusssätze einer Sinfonie lassen sich häufig über die Modelle der Sonatenhauptsatzform oder der Sonatenrondoform erschließen. Schumanns 4. Satz sperrt sich gegen ein Verständnis über diese beide Modelle der Formenlehre.

Tl + A
B / 2 / 3
A
Tl (Sequenzen)
B / 3
C / 2
C / 2
1
Schlusssteigerung
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Robert Schumann, Sinfonie Nr. 2 C-Dur Op. 61, 4. Satz, Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch
Live-Konzertmitschnitt der Hochschule für Musik und Theater München 2020

Der Satz beginnt mit einer schnellen Tonleiterbewegung aufwärts und einem sehr rhythmischen Abschnitt in der Ausgangstonart (A).

Der folgende Abschnitt erinnert aufgrund der dominanten Motorik der Streicher an das Scherzo bzw. den 2. Satz, wobei im Verlauf des Abschnitts ein Motiv (B) eingeführt wird, das rhythmisch an den Beginn des 3. Satzes erinnert. Rhythmik und Vorhalt wirken identisch, wobei Schumann das Motiv hier einem Dur-Kontext anpasst und die Sexte zur kleinen Septime steigert.
Nach einem kurzen Wiederaufgreifen des Anfangs (A), der mit einer Kadenz in der Nebentonart endet, bestimmen Sequenzen mit Tonleitergestaltung (Tl) das Geschehen (Beginn der Durchführung). Ebenfalls in der Durchführung (Abschnitt B / 3) greift Schumann die Motivik des 3. Satzes noch einmal auf, dieses Mal jedoch in g-Moll, wobei er eine Spiegelung des 1. Motivs sowie die Normalform des 2. Motivs aus dem 3. Satz verwendet.

Auch noch in der formalen Position der Durchführung erklingt in Es-Dur ein Motiv (C), dass an das Trio des 2. Satzes erinnert (erster Abschnitt C / 2). Mit der Wiederkehr dieses Motivs in variierter Form (zweiter Abschnitt C2) markiert Schumann die Wiederkehr die Ausgangstonart C-Dur bzw. die formale Position einer (tonartlichen) Reprise.

Kurz vor der abschließenden Schlusssteigerung erklingt in den Trompeten das Fanfarenmotiv des 1. Satzes. Lediglich den Schlusston führt Schumann möglicherweise für eine größere Schlusswirkung nicht in die obere, sondern in die untere Klanglage der Trompeten.

Die Analyse zeigt, dass sich Schumann im Schlusssatz seiner 2. Sinfonie bei der Beherrschung der »großartigen Form« nur im tonartlichen Verlauf und in den Gesten an traditionellen Gestaltungen orientiert (Exposition = gelb, Durchführung = rot und Reprise = gelb). Anstelle einer traditionellen Gestaltung der Formfunktionen Hauptsatz, Überleitung, Seitensatz und Schlussgruppe verwendet Schumann Motive aus den ersten Sätze seiner Sinfonie. Konsequent folgt er damit seiner eigenen kompositorischen Ästhetik bzw. seinen eigenen Ansprüchen an eine qualitativ hochwertige Sinfonik, was sich einer Kritik an zeitgenössischen Sinfoniekompositionen entnehmen lässt:

Wenn der Deutsche von Synphonieen spricht, so spricht er von Beethoven [...] Wie nun die Schöpfungen dieses Meisters mit unserem Innersten verwachsen, einige sogar der symphonischen populär geworden sind, so sollte man meinen, sie müßten auch tiefe Spuren hinterlassen haben, die sich doch am ersten in den Werken gleicher Gattung der nächstfolgenden Periode zeigen würden. Dem ist nicht so. Anklänge finden wir wohl […] zu viele und starke; Aufrechterhaltung oder Beherrschung aber der großartigen Form, wo Schlag auf Schlag der Ideen wechselnd erscheinen und doch durch ein inneres geistiges Band verkettet, mit einigen Ausnahmen nur selten. Die neueren Symphonien verflachen sich zu größten Teil in den Ouverturenstyl hinein, die ersten Sätze namentlich; die langsamen sind nur da, weil sie nicht fehlen dürfen; die Scherzos haben nur den Namen davon; die letzten Sätze wissen nicht mehr, was die vorigen enthalten.

Robert Schumann, »Neue Symphonieen für Orchester«, NZfM 11 (1939), 1–3.

Materialien

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Aufnahmen

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Robert Schumann, Sinfonie Nr. 2 C-Dur Op. 61
Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch
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1. Sostenuto assai – Allegro, ma non troppo

2. Scherzo. Allegro vivace

3.\ Adagio espressivo

4. Allegro molto vivace