Formenlehre: Einheit 2 – Renaissance: Tänze, Lieder, Satzweisen
Tanzgattungen, Melodietypen, Liedformen; Gliederung durch Kadenzen – PDF
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Aspekte der Kadenz |
| Höhere Gliederungsebene | Tiefere Gliederungsebene |
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Maßgebliches formbildendes Mittel zur Unterteilung musikalischer Zeitverläufe | großformal (global) | kleinformal (lokal) | |
musikalische Form | musikalische Syntax | ||
Großbuchstaben | Kleinbuchstaben | ||
formbildende Harmonik | Akkordfortschreitungen | ||
Stufen | Funktionen oder Stufen |
Tanzgattungen
Bewegung ist Urimpuls der musikalischen Formgebung: sowohl die spezifische Rhythmik von Tänzen als auch deren Periodizität (Regelmäßigkeit der Syntax, Wiederkehr von Formteilen) sind durch choreographische Gegebenheiten bedingt
Musikalische Ausgestaltung von Renaissancetänzen: basierend auf einem cantus firmus oder auf ostinaten Bassmodellen
Form von Tanzsätzen: in der Regel zwei verwandte (A – A') oder kontrastierende Teile (A – B), jeweils mit Wiederholung
Frühe Form der Suite: Paarbildung eines langsamen Tanzes mit einem schnellen Nachtanz in gleicher Tonart; ab dem 16. Jahrhundert
- Pavane (auch: Pavana, Paduana, Pavan, Dantz) – gemessener Schreittanz im Zweier- oder Vierertakt
- Gaillarde (auch: Gagliarda, Galliard, Hupfauff) – lebhafter Springtanz im Dreiertakt
- Claude Gervaise
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- Claude Gervaise
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Weitere Renaissancetänze | Merkmale |
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Basse danse | französischer höfischer Schreittanz in langsamem Tempo, etabliert bis zum frühen 16. Jahrhundert |
Tourdion bzw. Haute danse | schnellere Variante der Gaillarde, als Nachtanz zur Basse danse, oft im ternären Zweiertakt |
Bransle | Branle | französischer Reigentanz in gemessenem Tempo, meist im Zweiertakt, häufig in Suiten zusammengefasst |
Bransle gay | beschleunigte Bransle, im Dreiertakt; auch: Bransle de Bourgogne (Phalèse, Attaingnant, Susato) |
Saltarello bzw. Piva | italienischer Springtanz im lebhaften ternären Zweiertakt, kann in der Suite die Gagliarda ersetzen |
Volta | französischer oder italienischer Tanz im temperamentvollen Dreiertakt, steht ebenfalls am Schluss einer Suite |
Allemande | deutscher Tanz in gemessenem Vierertakt, löst ab dem späten 16. Jahrhundert die Pavane ab |
- Hörbeispiel – Claude Gervaise: Sixième livre de Danseries (1555), Bransle de Champagne
- Hörbeispiel – Pierre Phalèse: Danseries (1571), Bransle gay »Trop penser«
- Hörbeispiel – Hans Leo Hassler: Lustgarten neuer teutscher Gesäng (1601), Tanzen und Springen (Liedsatz nach Art einer Gaillarde)
Melodische Gattungen und Liedformen
Typen und Subgattungen
- Hymnus – einstimmiges, mehrstrophiges geistliches Lied, seit dem 3. Jh. (zB: Veni creator, Stabat mater, Ave maris stella)
- Choral – einstimmiger Gesang für den lateinischen Gottesdienst, seit der Liturgiereform des 6. Jh.: gregorianischer Choral
- Choralbücher: Graduale Romanum (Messgesänge), Antiphonale Romanum (Stundengebete des Offiziums)
- Vortragsweisen: responsorisch (Wechsel von Solo bzw. Vorsänger und Chor) oder antiphonal (zwei Chöre)
- Protestantisches Kirchenlied – Neukomposition oder Adaption von lat. Hymnen und Chorälen, seit dem 16. Jh. (zB durch Luther)
- Minnesang und Troubadourlied – weltliche Liebeslieder oder Marienlieder seit dem 11. Jh., meist mündlich überliefert
- Weltliches Lied – auf einen landessprachlichen Text komponierte Melodie, oft mehrstimmig gesetzt (Chanson, Tenorlied)
- Volkslied – traditionell überlieferte Melodie unbekannter Autorschaft; Varianten: Ballade, Ode, Air, Frottola, Villanelle
Gängige Formen | Formteile | Merkmale |
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Zweiteilige Form | A – A' oder A – B | Erster Teil endet offen (Halbschluss), zweiter Teil führt zurück (Ganzschluss) |
Barform | A – A – B | Stollen – Stollen – Abgesang (Variante: Gegenbarform A – B – B) |
Reprisenbarform | A – A – B – A | Stollen – Stollen – Abgesang – Reprise |
Freie Reihungsform | A – B – C – D … | Jeder Textabschnitt mit neuer Melodie, Kadenzen bei Zäsuren oder Reimwörtern |
- Beispiel – Johann Abraham Peter Schulz: Der Mond ist aufgegangen (1816), sechszeilige Strophe in zweiteiliger Form (A – A')
- Beispiel – Johann Friedrich Reichardt: Bunt sind schon die Wälder (1799), sechszeilige Strophe in zweiteiliger Form (A – B)
- Beispiel – George Gershwin: I Got Rhythm (1930), Refrain: Reprisenbarform mit vier Abschnitten (A – A – B – A')
Gängige Satzweisen | Merkmale |
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Fauxbourdon | Melodie im Superius (Oberstimme), dazu zwei homophone Unterstimmen: Kontratenor (4↓), Tenor (6↓) |
Diskantlied | Melodie im Superius, dazu zwei oder drei homophon oder polyphon gesetzte Unterstimmen |
Tenorlied | Melodie in der Tenorstimme, dazu in der Regel drei weitere Stimmen (Sopran, Alt, Bass), auch imitatorisch |
Bicinium | Zweistimmiger Imitationssatz (lateinisch) oder cantus-firmus-Satz (deutsches Lied- oder Choralbicinium) |
Friedrich Silcher, Wenn alle Brünnlein fließen (1855): Liedstrophe in Barform
- Heinrich Isaac
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- Ludwig Senfl
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- Ludwig Senfl
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- Ludwig Senfl
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Heinrich Isaac: Innsbruck ich muss dich lassen (⁓1498), Diskantlied
Quellen: archive.org | YouTube
- Machen Sie sich mit den unterschiedlichen Typen von Renaissance-Tänzen und den Beispielen von Gervaise, Phalèse und Hassler vertraut.
- Untersuchen Sie die Pavanne passamaize von Claude Gervaise. Beschreiben Sie den Verlauf der Bassstimme und bestimmen Sie die Mittelkadenz und Schlusskadenz.
- Untersuchen Sie die Form des Volksliedes Wenn alle Brünnlein fließen und fertigen Sie ein Formdiagramm der Strophe an.
- Hören Sie das Diskantlied Innsbruck ich muss dich lassen von Heinrich Isaac und gliedern Sie die Strophe.
- Hören Sie das Tenorlied Entlaubet ist der Walde von Ludwig Senfl, gliedern Sie die Strophe und untersuchen Sie die Imitationsstruktur.