Das Modell K2-K3-K4

Inhaltsverzeichnis

Im ersten größeren Formteil einer Komposition (also z.B. in einem Menuett bis zum Doppelstrich, einer Sonate oder Sinfonie bis zum Ende der Exposition, im A-Teil einer Arie usw.) sollten nach Heinrich Christoph Koch drei Absätze und eine Kadenz stattfinden. Für einen pragmatischen Analyseansatz werden auch unter Absätzen Kadenzen verstanden, sodass die nachstehende Kadenzreihenfolge (Kadenz = K) den ersten größeren Formteil einer umfangreicheren Komposition charakterisiert:

  • Ganzschluss in der Haupttonart (= K1)
  • Halbschluss in der Haupttonart (= K2)
  • Halbschluss in der Nebentonart (= K3)
  • Ganzschluss in der Nebentonart (= K4)

Die folgende Anleitung behandelt den Fall, dass im ersten Formteil einer umfangreicheren Komposition der Ganzschluss der Haupttonart (= K1) fehlt.

Expositionen mit einem Halbschluss am Ende des Hauptsatzes

Die Kadenzfolge K2-K3-K4 ist in der Literatur recht häufig in Kompositionen in Moll und gelegentlich auch in Kompositionen in Dur anzutreffen. Das Kürzel K2-K3-K4 steht für einen Halbschluss in der Haupttonart sowie für einen Halbschluss (diskantisierend oder tenorisierend) und einen Ganzschluss in der Nebentonart. In einem Notendiagramm lässt sich das Kadenzmodell für die Tonart a-Moll wie folgt chiffrieren:

Kadenzfolge mit diskantisierendem Halbschluss in der Haupttonart

durch sliden sichtbar: Kadenzfolge mit tenorisierendem Halbschluss in der Haupttonart

In vielen Fällen lassen sich die Formfunktionen der Formenlehre Hauptsatz, Überleitung, Seitensatz und Schlussgruppe den Abschnitten, die durch Kadenzen entstehen, wie folgt zuweisen:


Beispiel Klaviermusik: Sonate in e-Moll Hob. XVI:34 von J. Haydn

Das folgende Notenbeispiel zeigt die Exposition der Sonate in e-Moll Hob. XVI:34 von J. Haydn:

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J. Haydn, Sonate in e-Moll Hob.XVI:34, 1. Satz, Exposition
Klavier: Alfred Brendel, Quelle: YouTube

Aufgabe 1:

  • Bestimmen Sie die Kadenzen in der Exposition des Kopfsatzes der Sonate für Klavier in e-Moll Hob.XVI:34 von J. Haydn.
  • Beziehen Sie Ihr Analyseergebnis auf das eingangs gegebene Kadenzmodell (K2-K3-K4).
  • Überlegen Sie, welchen der durch die Kadenzen entstehenden Abschnitte sich die Funktionsbegriffe Hauptsatz, Überleitung, Seitensatz und Schlussgruppe gut zuweisen lassen und an welchen Stellen Probleme auftreten.

Beispiel Orchestermusik: Sinfonie in g-Moll KV 550 von W. A. Mozart

Das folgende Notenbeispiel zeigt einen Klavierauszug der Exposition der Sinfonie in g-Moll KV 550 von W. A. Mozart:

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W. A. Mozart, Sinfonie in g-Moll KV 550, 1. Satz, Exposition
Orchester: Camerata Salzburg, Quelle: YouTube

Aufgabe 2:

  • Bestimmen Sie die Kadenzen in der Exposition der Sinfonie in g-Moll KV 550 von W. A. Mozart.
  • Beziehen Sie Ihr Analyseergebnis auf das eingangs gegebene Kadenzmodell (K2-K3-K4).
  • Überlegen Sie, welchen der durch die Kadenzen entstehenden Abschnitte sich die Funktionsbegriffe Hauptsatz, Überleitung, Seitensatz und Schlussgruppe gut zuweisen lassen und an welchen Stellen Probleme auftreten.

Zusammenfassung

Kompositionen, die durch drei Kadenzformen nach H. Chr. Koch charakterisiert sind, haben drei, bei Kadenzwiederholungen oder einer Taktgruppe nach dem Ende der Schlussgruppe vier oder mehr Abschnitte:

  • Gestaltung vor einer K2,
  • Gestaltung vor einer K3,
  • Gestaltung vor einer K4 und ggf. noch eine
  • Gestaltung nach einer K4.

In Sonaten und Sinfonien ist aufgrund der Anzahl der Abschnitte die Zuweisung der vier Formfunktionen Hauptsatz, Überleitung, Seitensatz und Schlussgruppe in der Regel gut möglich. Ein Problem kann sich bei der Bestimmung der Länge des Seitensatzes bzw. dem Beginn der Schlussgruppe ergeben. Die folgenden Punkte können bei der Orientierung helfen:

Hinweis
  • In dem Modell K2-K3-K4 lässt sich in der Regel die Gestaltung vor der K2 als Hauptsatz bezeichnen.
  • Nach der K2 erklingt eine modulierende Überleitung, die mit einem Halbschluss in der Nebentonart endet (K3). In ausgedehnteren Kompositionen wird diese formale Position häufig im »rauschenden« Charakter inszeniert und ist durch Sechzehntelbewegungen, Streichertremolos, einen vollen Bläsersatz und laute Dynamik (f) charakterisiert.
  • Der Seitensatz (cantable Satz) beginnt nach dem Halbschluss der Nebentonart.
  • Die Schlussgruppe beginnt mit einem auffälligen Satzbildwechsel (oder nach einer Kadenz), hat nicht selten wieder einen »rauschenden« Charakter und enthält in der Regel mehrere Ganzschlüsse in der Nebentonart (K4 mit Arientriller-Kadenz).

Beachten Sie, dass der Halbschluss der Haupttonart in der Regel das Ende einer nicht-modulierenden Überleitung markiert, in Kompositionen, die sich angemessen durch das Modell K2-K3-K4 beschreiben lassen, dagegen das Ende des Hauptsatzes. Eine Interpretation und Begriffszuweisung bedarf daher in jedem Fall einer Offenlegung der Analysekriterien bzw. einer an der konkreten Komposition orientierten Begründung!


Weitere empfohlene Werke zur Analyse

  • Exposition des Kopfsatzes der Sonate in C-Dur »Waldstein« Op. 53 von L. v. Beethoven
  • Exposition des Kopfsatzes der Sonate in G-Dur Op. 31, Nr. 1 von L. v. Beethoven
  • Exposition des Kopfsatzes der Sinfonie in g-Moll KV 183 (»kleine g-Moll«) von W. A. Mozart
  • Arie der Pamina »Ach, ich fühl's« aus der Zauberflöte