In diesem Dokument erfährst du, wie man Akkorde mit übermäßiger Sexte (den übermäßigen Sextakkord, den übermäßiger Quintsextakkord oder den übermäßigen Terzquartakkord) durch enharmonische Umdeutung für die Modulation (enharmonischer Modulation) verwenden kann. Einige Übungen helfen dir dabei, das Gelernte besser zu verstehen und einzuprägen.
Es empfiehlt sich, zunächst das Tutorial zum übermäßigen Sextakkord durchzuarbeiten.
Inhalt
Ein Griffbild, zwei Akkorde
In der gleichstufig-temperierten Stimmung klingen die Akkorde f-a-c-es und f-a-c-dis gleich. Doch den ersten Akkord nennt man Dominantseptakkord, den zweiten übermäßigen Quintsextakkord. Höre dir die Akkorde mit deren typischen Auflösungen an und betrachte dazu das Notenbild.
Der Dominantseptakkord mit den Tönen f-a-c-es führt in die Tonika B-Dur, der übermäßige Quintsextakkord mit den Tönen f-a-c-dis in einen E-Dur-Akkord.
Auf den Dominantseptakkord folgt ein Quintfall im Bass, die Septime in der Sopranstimme strebt gleichzeitig eine Sekunde abwärts (Gleitton, ein Leitton mit abwärtsgerichteter Strebetendenz).
Der übermäßige Quintsextakkord löst sich im Bass mit einem kleinen Sekundschritt nach unten auf (Gleitton), die übermäßige Sexte in der Sopranstimme strebt gleichzeitig eine kleine Sekunde aufwärts (Leitton).
Der reguläre Ort eines Dominantseptakkords ist dabei die 5. Bassstufe. In der Auflösung fällt der Bass in der Regel anschließend in die 1. Stufe. Der übermäßige Quintsextakkord dagegen wird typischerweise auf der erniedrigten 6. Bassstufe aufgebaut. Der Bass führt dann leittönig abwärts in die 5. Stufe. Entweder endet die Phrase an dieser Stelle (Halbschluss) oder es folgt noch die Tonika (Ganzschluss).
Modulation mit dem übermäßigen Quintsextakkord
Da sich Dominantseptakkord und übermäßiger Quintsextakkord in Griffbild und Klang gleichen, bietet es sich an, den einen Akkord in den anderen umzudeuten und damit zu modulieren. Der Vorgang, dass ein einzelner Ton "anders notiert" wird, nennt man enharmonische Umdeutung oder enharmonische Verwechslung. Eine Modulation mit diesem Mittel heißt entsprechend enharmonische Modulation.
Beispiele für die enharmonische Modulation
Beethovens 5. Sinfonie
Sehen wir uns dazu ein Beispiel aus dem zweiten Satz von Beethovens 5. Sinfonie an: Beethoven beginnt hier in As-Dur. Nach vier Takten, in denen die Tonika As-Dur ausgebreitet bzw. prolongiert wird (dazwischen mehrmalige Wechsel von Tonika und Dominante, harmonisches Pendel genannt) wird die Septime ges in der 1. Violine erreicht. Den darunter erklingenden, in der Grafik eingeklammerten Akkord ignorieren wir zunächst.
In Takt 7 erklingt der vollständige Dominantseptakkord - klanglich wie as-c-es-ges, allerdings notiert Beethoven in der 1. Violine fis statt ges – ein Hinweis darauf, dass sich der Akkord eben nicht wie ein Dominantseptakkord verhält, sondern wie ein übermäßiger Quintsextakkord.
Durch die nun folgende Auflösung (Sopran fis zu g und Bass as zu g) hören wir nachträglich das as im Bass nicht mehr als Tonika wie am Anfang des Stückes, auch nicht als Dominante, wie zwischendurch durch den Septakkord suggeriert, sondern als erniedrigte 6. Bassstufe der Zieltonart C-Dur.
Darauf folgt auch ein idealtypischer Ganzschluss nach C-Dur: Der übermäßige Quintsextakkord löst sich über die Dominante mit Quartsextvorhalt in die Tonika auf.
L. v. Beethoven 5. Sinfonie, II. Satz / Analysegrafik von Georg Thoma / Lizenz: CC0 (gemeinfrei)
Quelle: YouTube
Schubert: Klaviersonate a-Moll, D845
In Schuberts Klaviersonate in a-Moll kommt der übermäßige Sextakkord zweimal im Rahmen eines Halbschlusses mit der Bassstufenbewegung b6–5 auf: Zunächst Takt 3 auf 4, dann Takt 9 auf 10.
Takt 10 bis 19 hören wir einen längeren Dominantorgelpunkt, der sich dann offenbar trugschlüssig in die VI. Stufe (Tonikagegenklang) auflöst. Dieser F-Dur-Akkord wird in Takt 20 aber unmittelbar dominantisiert und als F7 nach B-Dur aufgelöst – das f bleibt im Bass aber liegen. Wir haben hier also scheinbar nach B-Dur moduliert, wo das f die 5. Bassstufe darstellt, wobei sich spätestens in Takt 24 herausstellt, dass es sich nur um eine kurzfristigere Ausweichung gehandelt hat, da hier in die Tonart a-Moll zurückgekehrt wird.
Der F7-Akkord in den Takten 20, 21 und 22 klingt dabei zunächst genauso wie der übermäßige Quintsextakkord in Takt 23; erst die unerwartete Auflösung in Takt 24 macht die enharmonische Umdeutung für den Hörer deutlich: Nachträglich wird das nach unten strebende es zum nach oben strebenden dis, das f als 5. Bassstufe in B-Dur zur 6. Bassstufe in a-Moll umgedeutet. Der darüber stehende übermäßige Quintsextakkord wird schließlich – ebenso, wie zuvor bei Beethoven – über die Dominante mit Quartsextvorhalt zur Tonika aufgelöst.

F. Schubert: Klaviersonate D 845 / Analysegrafik von Georg Thoma / Lizenz: CC0 (gemeinfrei)
Quelle: YouTube
Systematisch erklärt: Enharmonisch Modulieren
Eine Aufgabe könnte lauten: Moduliere von F-Dur nach E-Dur mithilfe des übermäßigen Quintsextakkords. Die Aufgabe kannst du in folgenden Schritten bewältigen:
- Zunächst ermittle den übermäßigen Quintsextakkord der Zieltonart. Dieser steht auf der erniedrigten sechsten Stufe, das ist in E-Dur das c. Der übermäßige Sextakkord heißt also c-e-g-ais. Damit ist das Ziel klar, die letzten drei Akkorde, bestehend aus dem übermäßigen Quintsextakkord, die Dominante (ggf. mit Quartsextvorhalt) und die Tonika können wir also hinschreiben.
- Dann überlegen wir, was für einen Akkord der umgedeutete übermäßige Quintsextakkord darstellt und welche Rolle er in der Ausgangstonart einnimmt. Umgedeutet ergibt er hier einen C7-Akkord und er entspricht dem Dominantseptakkord der Ausgangstonart F-Dur.
- Dieser Dominantseptakkord sollte (muss aber nicht zwingend) in der Ausgangstonart zunächst wie erwartet aufgelöst werden – also C7 nach F-Dur – bevor er dann anders notiert in die Kadenz der Zieltonart übergeht. Wenn wir dann noch die Tonika als ersten Akkord hinzufügen, erhalten wir im Gesamten folgende Akkordfolge:
Grafische Darstellung möglicher Modulationswege
Um zu sehen, welche Modulation möglich ist, betrachte die folgenden Grafiken: Links ist die Ausgangstonart abgebildet mit dem Verhältnis von der ersten Bassstufe zur erniedrigten 6. Bassstufe, auf der der übermäßige Quintsextakkord aufgebaut wird - eine große Terz. Rechts ist die Zieltonart mit ihrem Verhältnis von der 1. Bassstufe zur 5. Bassstufe, also von Tonika zur Dominante, einer Quarte. Wenn die 6. Bassstufe der Ausgangstonart (links) zur 5. Bassstufe der Zieltonart (rechts) umgedeutet wird, bedeutet das: Die Tonika der Zieltonart liegt eine kleine Sekunde höher.
Grafik: Georg Thoma / Lizenz: CC0 (gemeinfrei)
In der zweiten Grafik siehst du den umgekehrte Fall: Links die Ausgangstonart mit dem Verhältnis von Tonika zu Dominante (reine Quarte). Rechts die Zieltonart mit dem Verhältnis von Tonika zu erniedrigter 6. Bassstufe (große Terz). Wird der Dominantseptakkord auf der 5. Bassstufe also zum übermäßigen Quartsextakkord auf der erniedrigten 6. Bassstufe umgedeutet, so liegt die Tonika der Zieltonart eine kleine Sekunde niedriger als die Tonika der Ausgangstonart.
Grafik: Georg Thoma / Lizenz: CC0 (gemeinfrei)
Mit der enharmonischen Modulation kann man leicht einen Halbton nach unten oder nach oben modulieren.
- Möchte man einen Halbton aufwärts modulieren, deutet man den übermäßigen Quintsextakkord in einen Dominantseptakkord um.
- Möchte man einen Halbton abwärts modulieren, deutet man den Dominantsepakkord in einen übermäßigen Quintsextakkord um.
Enharmonisch Modulieren durch Umdeutung von Zwischendominanten
Bisher haben wir lediglich die reguläre Dominante verwendet und dabei gesehen, wie man durch deren enharmonische Modulation einen Halbton nach oben oder nach unten modulieren kann. Doch natürlich gibt es durch Einbezug von Zwischendominanten noch mehr Möglichkeiten.
- Wird beispielsweise die Zwischendominante zur Subdominante zum übermäßigen Quintsextakkord umgedeutet, kann man eine große Terz nach oben Modulieren: C - C7 - H - E. Diesen Weg hat Beethoven im obigen Beispiel gewählt.
- Wird die Doppeldominante zum übermäßigen Quintsextakkord umgedeutet, kann man eine übermäßige Quarte nach oben modulieren: C - D7 - Cis - Fis
- Wird der übermäßige Quintsextakkord zur Zwischendominante zur Subdominante umgedeutet, moduliert man eine große Terz nach unten: C - As7 - Des - Es - As
- Wird der übermäßige Quintsextakkord zur Doppeldominante umgedeutet, moduliert man eine übermäßige Quarte nach unten: C - As7 - Des7 - Ges
- usw.
Klavierpraxis mithilfe einer Schablone
Mit dieser Schablone kannst du den übermäßigen Quintsextakkord mit seiner Auflösung und die enharmonische Modulation ganz einfach üben. Drucke die Schablone auf A4-Papier aus, falte sie quer und stecke sie zwischen die schwarzen Tasten und die Rückwand des Klaviers, so dass die senkrechten Striche mit den Tastenrändern bündig sind. Die Schablone lässt sich dann zum Transponieren beliebig nach links oder rechts verschieben.
So funktioniert's:
- Für den Dominantseptakkord starte mit den vier rot markierten Tönen (einfach von der roten Markierung nach unten sehen, welche Tasten markiert sind) und löse sie anschließend in die Tonika (blaue Töne) auf.
- Für den übermäßigen Quintsextakkord startest du ebenfalls mit dem roten Akkord. Jetzt kannst du über den gelben (Quartsextvorhalt) zum hellgrünen (Dominante) und zum dunkelgrünen Akkord (Tonika) weitergehen.
- Alternativ kannst du auch den gelben Akkord auslassen. Beim gelben und grünen Akkord kannst du zwischen Dur und Moll wählen.

Original-PDF hier downloaden - Georg Thoma CC-BY