Pop- und Rockmusik — Das SRDC-Schema
Eine Unterrichtseinheit zu diesem Thema finden Sie hier.
Walter Everett hat in seinem Buch The Foundation of Rock (New York 2009, S. 140) ein Modell zur Analyse von Rock- und Popsongs vorgeschlagen, das er als SRDC-Schema bezeichnet hat. Mit diesem Schema lassen sich in zahlreichen Songs der Pop- und Rockmusik die Abfolge und Charakteristik von vier aufeinanderfolgenden Phrasen beschreiben. Im Folgenden wird das SRDC-Schema erläutert, anschließend erfolgt mit Bezug auf weitere Autoren eine Erörterung der Möglichkeiten des Modells für die musikalische Analyse. Angesichts einiger Probleme wird dann eine Generalisierung des vierteiligen Schemas sowie eine Verwendungsweise des Prechorus-Begriffs vorgeschlagen.
Die vier Abschnitte des SRDC-Schemas
Das SRDC-Schema beschreibt Abfolge und Funktionen von vier melodischen Phrasen:
- Statement
- Restatement (Repetition)
- Departure
- Conclusion
Walter Everett erläutert dazu:
One other phrase combination occurs quite often, enough so to give it a name and compare examples. This is a four-phrase pattern that we'll refer to as SRDC, as its components always perform the functions of Statement – Restatement – Departure – Conclusion. The Restatement phrase may cadence the same as did the first Statement (Bobby Darin's 'Dream Lover') or differently, and in fact the first two phrases may form a periodic subgrouping (as in Highwaymen's 'Cotton Fields') or an open phrase group (as in the rooftop Singers 'Walk Right In' and Marvin Gayes 'I Heard It through the Grapevine'). The fourth phrase may recap the opening material, for an aaba pattern (the Tutles' 'You Baby'), or may present new melodic ideas, aabc (the Bee Gees' '(The Lights Went Out In) Massachusetts'). Often, an SRDC is the basis of a verse with refrain.
Walter Everett, The Foundation of Rock, New York 2009, S. 140.
Das SRDC-Schema zur Beschreibung von Verse-Strukturen
Bedenkt man, dass der Begriff Refrain im nordamerikanischen Forschungsdiskurs für eine einzelne Textzeile steht (die meist am Ende einer Strophe bzw. in der Schlussgestaltung eines Verse zu hören ist), dann lässt sich der Sachverhalt sehr gut anhand des Songs Surfin' U.S.A. der Beach Boys veranschaulichen:
If everybody had an ocean Across the U.S.A.
You'd catch 'em surfin at Del Mar (Inside, outside, U.S.A.)
We'll all be plannin' out a route We're gonna take real soon
At Haggerty's and Swami's Pacific Palisades San Onofre
(instr.) Everybody's gone surfin' Surfin' U.S.A.
Everybody's gone surfin' Surfin' U.S.A. Everybody's gone surfin' Surfin' U.S.A. Yeah, Everybody's gone surfin' Surfin' U.S.A. Yeah, Everybody's gone surfin' Surfin' U.S.A.
The Beach Boys, Surfin’ U.S.A., 1963
Autoren: Brian Wilson & Chuck Berry | Quelle: YouTube
Die Form des Songs wird als Verse-Form bezeichnet, weil – abgesehen von dem Schlussteil (Outro) – nur ein einzelnes Pattern (Verse) wiederholt wird und ein kontrastierender Formteil fehlt. Dieses Pattern ist vierteilig und besteht aus einer ersten Phrase (V-I: "If everybody...") und einer Wiederholung dieser harmonisch-melodischen Wendung ("Then everybody'd..."). Die dritte Phrase ("You'd see...") bildet insofern eine kleine Steigerung, als die Melodie einen Ton höher ausgreift und ein Wechsel zur Subdominante erfolgt, während die vierte Phrase ("A bushy bushy") so beginnt wie die ersten beiden Phrasen und mit der Vertonung der Refrainzeile ("surfin' U.S.A.") der Grundton in der unteren Oktavlage erreicht wird. Weitere Beispiele für einen Songs mit Verse-Form, in denen sich der Verse durch das SRDC-Schema angemessen beschreiben lässt, wären Sunny von Bobby Hebb und The Show Must Go On von Leo Sayer.
Das SRDC-Schema eignet sich auch zur Verse-Beschreibung des Songs I'll Cry Instead von The Beatles:
I've got every reason on earth to be mad ...
I've got a chip on my shoulder that's bigger than my feet ...
Don't want to cry when there's people there, I get shy when ...
And when I do you'd better hide all the girls ...
Don't want to cry when there's people there ...
And when I do you'd better hide all the girls ...
The Beatles, I'll Cry Instead, 1964
Autoren: John Lennon & Paul McCartney | Quelle: YouTube
Die Melodie des Statements führt vom Quintton d' zum Terzton h (das als Blue Note zwischen b' und h' intoniert wird), während das Phrasenende des Restatments wieder zurück zum Ausgangston führt. Im Departure-Abschnitt weitet sich dann der Ambitus und die Melodie erreicht mit der kleinen Septime f' (zum Grundton g) ihren Spitzenton. Über den strukturell wichtigen 4. Ton wird in der Conclusion dann über h-a-g der Grundton im 15. Takt erreicht. Zusammenfassend ist für den Melodieverlauf in I'll Cry Instead ein offener Anfang durch Umspielung des Quinttons (Statement-Restatement), dann eine melodische Entwicklung mit einem Höhepunkt (Departure) sowie eine Schlussbildung (Conclusion) charakteristisch. Ein weiteres Beispiel für Songs in Verse-Bridge-Form, in denen sich der Verse durch das SRDC-Schema angemessen beschreiben lässt, wären z.B. Dream Lover von Bobby Darin (ein "War Horse" der amerikanischen Forschungsliteratur).
Die beschriebene 'innere Dynamik' mit einer melodischen Steigerung im Departure-Abschnitt findet sich häufiger und nicht nur in Songs der 60er Jahre. Sie prägt beispielsweise auch den Verse in Born To Make You Happy von Britney Spears:
Oh, my love [laugh] Oh, yeah yeah Oh, yeah
I'm sitting here alone up in my room I'm thinking about the times ...
If only you were here tonight ...
I don't know how to live without your love I was born to make you happy ...
I know I've been a fool since you've been gone I'd better give it up and carry on ...
If only you were here tonight I know that we ...
I don't know how to live without your love I was born to make you happy ...
(Oh yeah) (Oh yeah)
I'd do anything I'd give you my world I'd wait forever to be your girl ...
(alright) (ooh) I was born to make you happy, yeah (ooh) (oh yeah)
I don't know how to live without your love I was born to make you happy ...
(Oh, oh) I was born to make you happy (Oh yeah, oh yeah) ...
In dem berühmten Song von Andreas Carlsson und Kristian Lundin, der auf dem Debütalbum Baby One More Time (1999) der US-amerikanischen Pop-Sängerin veröffentlicht wurde, kommen zwei Verse-Abschnitte vor, die sich über das SRDC-Schema verstehen lassen:
Dem Diagramm lässt sich entnehmen, dass wie in I'll Cry Instead von The Beatles in der ersten Phrase (Statement) der Quintton fis in der Melodie an exponierter Stelle erklingt. Die zweite Phrase (Restatement) beginnt wie die erste, endet jedoch auf dem cis, das in Verbindung mit der Dominante (Quintlage) eine halbschlüssige Wirkung entfaltet. In der dritten Phrase (Departure) wird der Klangraum – wie bei I'll Cry Instead – bis zur Septime a geweitet, die vierte Phrase (Conclusion) bringt dann den Spitzenton h als Nebennote zu a, von wo aus über einen Vorhalt der Schlusston d des Abschnitts erreicht wird (er erklingt auf der Takteins des ersten Taktes des folgenden Abschnitts).
Das SRDC-Schema zur Beschreibung von Verse-Prechorus-Strukturen
Von dem Song Be My Baby, der von Jeff Barry, Ellie Greenwich und Phil Spector geschrieben sowie durch die Girl-Group The Ronettes berühmt geworden ist, findet sich in John Covachs Aufsatz zur Form (Form In Rock Music. A Primer, 2005:71) eine formale Analyse. Covach unterscheidet die beiden Formteile Verse und Chorus, wobei sich die Struktur des Verse über das SRDC-Schema verstehen lässt:
The night we met I knew I needed you soand if I had the chance I'd never let you go. ...
So won't you, please, be my be mybe my little baby ...
I'll make you happy, baby, just wait and see. ...
So won't you, please, be my be mybe my little baby ...
(instr.)
So come on and, please, be my be my be my little baby Say you'll be my darlin', be my baby now. Wha-oh-oh-oh.
Be my be myBe my little baby. Say you'll be my darlin', be my baby now. wha-oh-oh-oh-oh.
Be my be myBe my little baby. Say you'll be my darlin', be my baby now. wha-oh-oh-oh-oh.
Quelle: Youtube
Ralf v. Appen und Markus Frei-Hauenschild vertreten in ihrem Aufsatz »AABA, Refrain, Chorus, Bridge, Prechorus — Songformen« und ihre historische Entwicklung dagegen die Auffassung, dass der Song Be My Baby einen Prechorus enthält: »Selbst Covach hat keine Bezeichnung für diesen Formteil, obwohl er mit ›Be My Baby‹ (Spector/Barry/Greenwich 1963) einen Song analysiert, der PreChoruses enthält" (S. 61 und S. 111 des Aufsatzes in der deutschen Fassung). Ihre Gliederung veranschaulicht das folgende Diagramm:
The night we met I knew I needed you so ...
So won't you say you love meI'll make you so proud ...
Be my, be my baby, be my little baby ...
I'll make you happy, baby, just wait and see ...
Oh, since the day I saw you I have been waiting for you ...
Be my, be my baby, be my little baby ...
(instr.)
Be my, be my baby, be my little baby ...
Be my, be my baby, be my little baby ...
Be my, be my baby, be my little baby ...
The Ronettes, Be My Baby, 1963
Autoren: Jeff Barry, Ellie Greenwich & Phil Spector | Quelle: YouTube
Die positivistische Äußerung der Autoren ist befremdlich, da man annehmen darf, dass Covach für diesen Formteil sicherlich die Bezeichnung Prechorus eingefallen wäre, wenn er ihn denn hätte benennen wollen. Sinnvoller als die dogmatische Feststellung, dass Be My Baby einen Prechorus hat, ist die Frage, auf welche musikalischen Ereignisse sich die unterschiedlichen Interpretationen stützen. Das folgende Diagramm skizziert den harmonisch-melodischen Verlauf der entsprechenden Takte:
Während Covach die SRDC-Struktur sowie analoge Versegestaltungen in anderen Songs (oder auch die Gestaltung des Verse im Sinne eines aus Phrase, Phrasenwiederholung und Fortspinnung bestehenden Satzes) als Grund gesehen haben mag, die 16 Takte als Einheit zu interpretieren, dürften für v. Appen/Hauenschild die Dynamik der Dominantenkette III-VI-II-V-(I) und die Proportionen (8:8:8) ausschlaggebend gewesen sein, Departure und Conclusion als eigenständigen Formteil zu benennen. Mit dieser Interpretation könnten sie sich auf Walter Everett berufen, der zum Prechorus schreibt:
A very common way of joining separate verse and chorus is through the prechorus, a form seemingly invented in 1964 and remaining extremely popular though the remainder of the decade. Often, a two-phrase Verse containing basic chords is followed by a passage, often harmonically probing, that leads to the full chorus.
Everett 2009, S. 146.
2011 hat Jay Summach einen Aufsatz zum Phänomen Prechorus veröffentlicht. Er skizziert die folgende Entwicklung:
The results sometimes carried the sentential strophe to the threshold of verse-chorus form. As the sentence is expanded, its parts begin to approximate the features of independent formal modules: s[tatement] and r[estatement] resemble a verse or verses; c[onclusion], which is often a refrain, breaks away as a chorus; and d[eparture] with its momentum-building characteristics, emerges as a prechorus.
Summach 2011
Vergleicht man die beiden Auffassungen, wird ersichtlich, dass die Formfunktion Prechorus aus zwei verschiedenen Abschnitten des SRDC-Semas erwachsen kann: v. Appen/Hauenschild haben die Abschnitte departure-conclusion des SRDC-Schemas zum Prechorus erklärt, während ein Prechorus nach Summach wie zum Beispiel in Runnaway von Del Shannon auch als Verselbständigung des departure-Teils gesehen werden kann. Weiterhin führt Summach aus:
Although this study brings to light evidence that situates the emergence of the prechorus in the particular historical context of the early 1960s, the argument could be made that the potential for an emergent prechorus resides in every sentential strophe with a tail-refrain. The story is as much a synchronic one as it is diachronic.
Summach 2011
Summachs Text überzeugt insbesondere hinsichtlich der Beispiele, die kontingente Formdeutungen erlauben und Interpretationen herausfordern.
Fokussiert man anstelle von Songs aus der Entstehungszeit des Prechorus (also der frühen 60er Jahre) Formstrukturen von Titeln neueren Datums, lässt sich das SRDC-Schemas auch häufiger in Chorus-Abschnitten entdecken. In dem bereits erwähnten Song Born To make You Happy kann auch der Chorus über das SRDC-Schema verstanden werden, während der Prechorus hier außerhalb der Grenzen einer durch das SRDC-Schema beschreibbaren Struktur liegt:
Oh, my love [laugh] Oh, yeah yeah Oh, yeah
I'm sitting here alone up in my room I'm thinking about the times ...
If only you were here tonight ...
I don't know how to live without your love I was born to make you happy ...
I know I've been a fool since you've been gone I'd better give it up and carry on ...
If only you were here tonight I know that we ...
I don't know how to live without your love I was born to make you happy ...
(Oh yeah) (Oh yeah)
I'd do anything I'd give you my world I'd wait forever to be your girl ...
(alright) (ooh) I was born to make you happy, yeah (ooh) (oh yeah)
I don't know how to live without your love I was born to make you happy ...
(Oh, oh) I was born to make you happy (Oh yeah, oh yeah) ...
Britney Spears, Born To Make You Happy, 1999
Autoren: Andreas Carlsson & Kristian Lundin | Quelle: YouTube
Der Verse ist in diesem ersten Song des Comeback-Albums (2004) ein Selbstzitat des ersten Songs (At the Library with Waba Sé Wasca) des ersten Albums (1990), der Subdominantbeginn des Chorus wurzelt in Rock'n'Roll-Adaptionen des Bluesschemas (wie beispielsweise in Jailhouse Rock von Elvis Presley). Verse und Chorus lassen sich hinsichtlich der melodischen Gestaltung als aabb-Struktur verstehen, wobei dann die zweite b-Phrase verkürzt wäre. Fasst man diese Verkürzung und den Break (Drums) in der Formfunktion eines Schlusses auf (der metrisch und aufgrund der Quintlage öffnend im Sinne eines Halbschlusses wirkt), könnten Verse und Chorus auch als Ausprägung des SRDC-Schemas angesehen werden.
Die Mehrdeutigkeit des SRDC-Schemas wird schließlich perfekt, wenn man bedenkt, dass Walter Everett auch die AABA- bzw. Verse-Bridge-Form als Sonderform des SRDC-Schemas interpretiert:
A very common large-scale scheme is a holdover from Tin Pan Alley: The AABA structure, a specific form of a large SRDC
Everett 2009, S. 143.
In diesem Sinne ließe sich der bereits besprochene Song I'll Cry Instead von The Beatles sogar als Ausprägung des SRDC-Schemas auf zwei Ebenen verstehen:
I've got every reason on earth to be mad ...
I've got a chip on my shoulder that's bigger than my feet ...
Don't want to cry when there's people there ...
And when I do you'd better hide all the girls ...
Don't want to cry when there's people there ...
And when I do you'd better hide all the girls ...
The Beatles, I'll Cry Instead, 1964
Autoren: John Lennon & Paul McCartney | Quelle: YouTube
Problematisch im Umgang mit dem SRDC-Schema ist, dass sich zwar Formfunktionen in verschiedenen Kontexten vergleichen lassen – ein Restatement ist beispielsweise immer eine Wiederholung eines vorangegangenen Abschnitts, dem ein anderer Abschnitt folgt –, dieser Vergleich jedoch die Semantik unterschiedlicher Ebenen suspendiert (eine AABA-Form hat eine andere Semantik als Begriffe auf der Ebene von Formteilen wie Verse-Prechorus und Verse-Chorus und diese Ebene ist wiederum verschieden von der Ebene der Binnenstruktur einzelner Formteile wie zum Beispiel der einer Verse-Struktur).
Das auf Erkenntnis zielende SRDC-Schema produziert daher letztendlich auch Missverständnisse hinsichtlich der Bezeichnungsebene (Songform / Formteil / Struktur eines Formteils) sowie begriffliche Redundanz: Wie in der Abbildung oben zu sehen ist, kann das SRDC-Schema als Synonym zu den Begriffen Verse-Bridge-Form, Verse-Prechorus/Verse-Chorus, Verse-Prechorus-Chorus, Verse und Chorus verwendet werden und wäre daher in der Lage, diese Begriffe auch zu ersetzen.
Generalisierung
Beim Versuch der Generalisierung fällt als erstes auf, dass mit dem SRDC-Schema nach Walter Everett zwei unterschiedliche Konstellationen beschrieben werden: aabc und aaba. Würde man das SRDC-Schema als Sonderform im Rahmen aller Möglichkeiten verstehen, auf der Ebene von Taktgruppen formale Abschnitte aus vier Phrasen zu beschreiben, sollten die beiden genannten Konstellationen als eigenständige Modelle aufgefasst werden:
Werden die Buchstaben der Reihe nach verwendet, ergeben sich die folgenden Möglichkeiten:
- aaaa z.B. Verse: Die Ärzte - Explodierte Freundin, Silbermond - Himmel auf, Ellie Goulding - Burn; Chorus: Scorpions, In Trance
- aaab z.B. Verse: Backstreet Boys - I Want It That Way; Chorus: AC/DC - Highway To Hell, Karat - König der Welt
- aaba z.B. Chorus: Britney Spears - Born To Make You Happy, Avril Lavigne - Complicated
- aabb z.B. Verse: Die Prinzen - Millionär; Bridge: The Beatles - She Came In Through The Bathroom Window
- aabc z.B. Verse: Beach Boys - Surf'in U.S.A, Puhdys - Es fällt mir schwer, Bobby Hebb - Sunny; Chorus: Puhdys - Hey, wir woll'n die Eisbär'n sehn
- abaa
- abab z.B. Bridge: Beatles - While My Guitar Gently Weeps; Chorus: Annett Louisan - Zu viel Information, Baccara - Yes Sir, I Can Boogie, 4 Non Blondes, What's Up
- abac z.B. Verse: Aerosmith - What It Takes; Bridge: Backstreet Boys - I Want It That Way
- abba z.B. Chorus: ABBA - Dancing Queen
- abbb z.B. Verse: Klaus Renft Combo −Gänselieschen
- abbc
- abca
- abcb
- abcc
- abcd z.B. Verse: Scorpions - Life's Like a River, AC/DC - Back In Black, Karat - König der Welt, Deep Purple - Highway Star; Chorus: Meat Loaf - Alive, Queen - Friends Will Be Friends
Darüber hinaus könnte ein generisches vierteiliges Schema von einem originär dreiteiligen unterschieden werden. Eine Sonderform der dreiteiligen Struktur wäre das aab-Schema (z.B. aab für die Verse-Struktur in Only Teardrops von Emmelie de Forest, die Chorus-Strukturen in If God Could Talk von Meat Loaf oder Kung Fu Girls von Blondie bzw. die Prechorus-Struktur in Angel von Aerosmith), das als Satz verstanden werden kann und im deutschsprachigen Diskurs – im Gegensatz zum vierteiligen sentence-Begriff amerikanischer Publikationen – durch eine asymmetrische Teilung charakterisiert ist. Demgegenüber kennzeichnet die Periode ein symmetrischer Verlauf, der sich als Sonderform des vierteiligen Schemas verstehen lässt (abac bzw. in deutschsprachigen Publikationen anzutreffender Hochkommanotation abab'). Weitere Informationen zu den Begriffen Periode und Satz in dem hier skizzierten Sinne erfahren Sie in den Tutorials zur Periode und zum Satz.
Zur Semantik von Buchstabenschemen und Formbegriffen
Buchstaben für sich allein genommen haben keine Bedeutung. Lediglich bestimmte Buchstabenkombinationen wie beispielsweise AABA können zum Zeichen werden, die für Fachkundige eine entsprechende Semantik transportieren (im Falle des AABA-Schemas wären das Songwriting der Tin-Pan-Alley-Tradition, das Menuett des 18. Jahrhunderts sowie die dreiteilige Liedform des 19. Jahrhunderts mögliche Bedeutungshintergründe). Chorus und Bridge hingegen sind Begriffe mit einer spezifischen Semantik. Ken Stephenson hat für den Begriff Chorus ausgeführt:
The arrival of a group of singers usually marks the beginning of (in fact provides the name for) chorus. The entrance of other instruments (strings, for instance) can help delineate the form as well. [...]
The name chorus derives from the typical practice of using multiple singers to perform the section after the presentation of a verse by a soloist, a practice stemming directly back to popular-song practice in the ninetheen century and coincidentally foreshadowed by responsorial chant described above.Stephenson 2002, S. 126 und S. 135.
Auch wenn es weitaus mehr klangliche Anzeichen für das Einsetzen des Chorus geben mag als die hier genannten Merkmale (zum Beispiel eine höher gelegte Melodie, Melismen und längere Notenwerte im Gesang, geändertes Time-Feeling, Ride-Becken anstelle der HiHat usw.) und selbst dann, wenn einzelne Merkmale als nicht-exklusiv gesehen werden (und gelegentlich auch im Verse auftreten) können, haftet dem Chorus eine Semantik an, die ihn vom Buchstabenschema unterscheidet. Denn mit Chorus wird eine spezifische Bedeutung eines Songs gekennzeichnet, Buchstabenschemen hingegen sind in der Lage, verschiedene Bedeutungen strukturell zu beschreiben (zum Beispiel einen Verse, einen Chorus, eine Bridge oder auch andere Abschnitte). Deshalb ist es in der Analyse empfehlenswert, so lange Buchstaben (ohne eine spezifische Bedeutung) zur Kennzeichnung und Gliederung eines formalen Verlaufs zu verwenden, bis formale Einheiten in ihrer Bedeutung genau bestimmt werden können. Erst ab diesem Zeitpunkt ist die Verwendung von Formbegriffen der Pop- und Rockmusik sinnvoll und kann eine Verständigung über kontingente musikalische Formauffassungen erleichtern.
Literatur
- Walter Everett, The Foundation of Rock, New York 2009.
- Ken Stephenson, What to listen for in Rock. A stylistic Analysis., New Haven und London 2002.
- Jay Summach, »The Structure, Function, and Genesis of the Prechorus«, in: MTO 17/3 (2011).