Kontrapunkt und Harmonielehre
Kontrapunkt und Harmonielehre gelten als wichtige Disziplinen im Rahmen der Musikausbildung an Konservatorien und Musikhochschulen (und gelegentlich auch an allgemeinbildenden Schulen mit einem Schwerpunktfach Musik). In diesem Tutorial werden beide Begriffe sowie deren Reichweite erörtert und an Beispielen veranschaulicht.
Inhalt
Kontrapunkt
Kontrapunkt
Kontrapunkt lässt sich im weitesten Sinne als eine Perspektive verstehen, aus der Klangereignisse sowohl im Hinblick auf vertikale Zusammenklänge als auch auf horizontale melodische Verläufe betrachtet werden. Während sich die vertikalen Verhältnisse in älterer Musik durch Noten (im Sinne von »punctus contra punctum«) darstellen lassen, könnte man darunter in elektronischer Musik auch übereinandergeschichtete Soundfiles verstehen (im Sinne eines ›sample gegen sample‹). In einem erweiterten Verständnis findet Kontrapunkt also immer dann statt, wenn Klangereignisse aufeinandertreffen.
Die Frage, ob Kontrapunkt heute noch Teil der Musikausbildung sein sollte, greift daher zu kurz, denn Kontrapunkt findet immer statt, wo Musik erklingt. Sinnvoller ist die Überlegung, ob und in welchem Umfang die Auseinandersetzung mit musikalischen Zusammenhängen im Hinblick auf konkrete Berufsfelder stattfinden sollte.
Bedeutungsfelder
Im Riemann Musik Lexikon (= RiemannL) werden zur Erklärung des Begriffs die folgenden drei Bedeutungsfelder angeführt:
Kontrapunkt (lat. contrapunctus oder -um; ital. und span. contrapunto; frz. contrepoint; engl. counterpoint), das aus punctus contra punctum (Note gegen Note; [...]) entstandene, seit dem 14.Jh. gebräuchliche und fortan in der mehrstimmigen Musik des Abendlandes zentrale Begriffswort mit den Bedeutungsfeldern:
1.) als grundlegendes Satzprinzip, als Satz oder (improvisatorische) Singpraxis und als Satzlehre;
2.) als Bezeichnung für die nach dem K.-Prinzip gewonnene Stimme oder für eine ganze kontrapunktische Komposition;
3.) als spezielle Satztechnik der Vertauschung oder Versetzung einzelner Stimmen, wodurch ›doppelter‹ oder ›mehrfacher‹ K. entsteht.
Sachs 1967, S. 488.
1.) Satzprinzip, Singpraxis und Satzlehre
Am einfachsten lässt sich die Definition verstehen, wenn man sich hierzu frühe satztechnische Formen der Improvisationspraxis vergegenwärtigt. Im Quartorganum (wie auch im Quintorganum) ist es beispielsweise offensichtlich, das eine Note (»punctus«) zu einer anderen Note (»punctum«) gesetzt wird, um eine Melodie bzw. einen cantus firmus zu begleiten.


Musica enchiriades, Bamberg, Staatsbibliothek, Msc.Var.1, fol. 57r (oben) und Transskription, Lizenz: CC0-1.0
Da aber während des Begleitens in Quarten (und Quinten) auch übermäßige Quarten (bzw. verminderte Quinten) auftreten können − in der Abbildung wurde deshalb beispielsweise auf die Quarte unter dem Ton e der vox principalis verzichtet − dachte man sich Regeln aus, um dissonante bzw. ästhetisch unerwünschte Intervalle zu vermeiden. Diese Regeln waren Hilfen für die improvisatorische (Sing-)Praxis, und in ihnen liegen die Anfänge der Kontrapunktlehren späterer Zeiten.
2.) Stimme und Komposition
Eine zu einer gegebenen Melodie ausgearbeitete Stimme wird auch als Kontrapunkt bezeichnet. Darüber hinaus heißen Kompositionen kontrapunktisch, wenn sie durch eine kontrapunktische bzw. polyphone Ausarbeitung geprägt sind. In diesem Sinne sind ein Kanon, ein Bicinium, eine Motette oder eine Fuge kontrapunktische Kompositionen, wobei auffällig ist, dass diese Begriffe über das einzelne Werk hinaus auch für musikalische Gattungen stehen können. Als gattungsbildend gelten Texte (z.B. der Text einer Messe), Besetzungen (z.B. ein Bicinium, ein Streichquartett), gesellschaftliche Funktionen (z.B. liturgische Musik), ein Formtypus (z.B. eine Sonate, eine Fuge) oder auch eine gewisse Stilhöhe. Kontrapunktische Gestaltungen gibt es auch in nicht-kontrapunktischen Gattungen wie z.B. in Kunstliedern, Arien und Sonaten (oft in der Funktion eines Kontrastes zu Vorhergehendem).
Robert Schumann schlägt z.B. in seinem Lied »Auf einer Burg« gleich zu Beginn durch eine kontrapunktische Ausarbeitung einen Tonfall an, der an alte Zeiten des kontrapunktischer Kompositionsweisen erinnert (die Imitationen werden farbig unterlegt, wenn das Bild berührt wird):
Robert Schumann, »Auf einer Burg« (Anfang), Lizenz: CC0-1.0
Robert Schumann, Liederkreis Op. 39, VII: Auf einer Burg, Bariton: Dietrich Fischer-Dieskau, Piano: Gerald Moore, Quelle: YouTube
Analog zum kontrapunktischen Komponieren gibt es auch eine Tradition des Schreibens über kontrapunktisches Komponieren. Einen Anfang bildeten die Kontrapunktregeln des Johannes Tinctoris (Liber de arte contrapuncti, 1477), denen die Regeln des Guilelmus Monacus (De preceptis artis musice et pratice compendiosus libellus, 15. Jh.) und weitere Anleitung von Glarean (1547), Vicentino (1555), Zarlino (1589), Artusi (1598) und viele andere mehr folgten. Auf diese Weise entstand im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Kontrapunktlehren, von denen die nachstehenden heute in Fachkreisen recht bekannt sind:
- Johann Joseph Fux, Gradus ad Parnassum [...] ins Teutsche übersetzt [...] von Lorenz Christop Mizler, Leipzig, 1742, Reprint Hildesheim 1984.
- Knud Jeppesen, Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie, Leipzig 1956.
- Diether de la Motte, Kontrapunkt. Ein Lese- und Arbeitsbuch, Kassel und München 1981
- Thomas Daniel, Kontrapunkt. eine Satzlehre zur Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts, Köln 1997.
- Johannes Menke, Kontrapunkt I: Die Musik der Renaissance, Laaber 2015.
- Johannes Menke, Kontrapunkt II: Die Musik des Barock, Laaber 2020.
3.) Spezielle Satztechnik
Das dritte Bedeutungsfeld lässt sich am einfachsten anhand einer Fugenkomposition Bachs veranschaulichen, z.B. der Fuge in c-Moll aus Präludium und Fuge BWV 847 (Wohltemperierte Klavier Bd. 1). Die Fuge beginnt mit einem Thema (= rot) im Alt. Wenn dann ab T. 3 das Thema im Sopran erklingt, hat Bach im Alt (= grün) einen Kontrapunkt komponiert:
Lizenz: CC0-1.0
Johann Sebastian Bach, Fuge in c-Moll BWV 847, Helmut Walcha, Ammer-Cembalo, Erstveröffentlichung 1961, Lizenz: CC0-1.0
Dieser Kontrapunkt hat ein paar besondere Eigenschaften, denn wenn man die Intervalle betrachtet, die auf dem Klavier zusammen angeschlagen werden, fällt auf, dass Bach fast ausnahmslos die Intervalle Terz, Sext, Oktave sowie die verminderte Quinte und Septime (= grün) verwendet hat:
Das hat seinen Grund darin, dass sich die Qualität dieser Intervalle bei ihrer Umkehrung nicht verändert:
- Sexte (= imperfekt konsonant) wird in der Umkehrung zu einer Terz (= imperfekt konsonant)
- Terz (= imperfekt konsonant) wird in der Umkehrung zu einer Sexte (= imperfekt konsonant)
- Oktave (= perfekt konsonant) wird in der Umkehrung zum Einklang oder wieder zu einer Oktave (= perfekt konsonant)
- Septime (= dissonant) wird in der Umkehrung zur Sekunde (= dissonant)
- verminderte Quinte (= dissonant) wird in der Umkehrung zur übermäßigen Quarte (= dissonant)
Oder anders formuliert: Alle Intervalle außer die Quarte lassen sich satztechnisch problemlos umkehren, ohne dass sich ihre Qualität und damit ihre satztechnische Verwendung ändern würde. Lediglich die Quinte (konsonant) wird in der Umkehrung zu einer Quarte (dissonant), was eine Gleichbehandlung der komplementären Intervalle verhindert (im Beispiel oben ist die Quarte als sogenannter Durchgang legitimiert, d.h., sie wird schrittweise erreicht und auch wieder verlassen). Ist ein Kontrapunkt auf die beschriebene Weise eingerichtet worden, konnte er als sogenannter doppelter Kontrapunkt der Oktave verwendet werden. Bach demonstriert uns das in den Takten 15−16 derselben Fuge:
In diesem Beispiel erklingt das Thema in der Unterstimme und der Kontrapunkt in der Oberstimme. Die einzige Änderungen im Kontrapunkt (Terzsprung c−es anstelle des Dezimsprungs aufwärts) hat technische Gründe, denn soweit auseinander liegende Töne können nicht mit einer Hand gespielt werden (mit der linken Hand muss im Original noch eine Bassstimme gegriffen werden) und das es''' wäre auch nicht mehr auf allen damaligen Instrumenten darstellbar gewesen.
Wie bereits erwähnt, wird in diesem Beispiel die »spezielle Satztechnik der Vertauschung oder Versetzung« einer einzelnen Stimmen als doppelter Kontrapunkt bezeichnet, wobei der Zusatz in der Oktave die Art der Versetzung angibt. Das Adjektiv doppelt gibt an, dass zwei Stimmen an dem Verfahren beteiligt sind.
Ein mehrfacher Kontrapunkt kann jedoch auch aus mehr als zwei Stimmen bestehen. Die Königsdisziplin dürfte früher die Erstellung eines vierfachen Kontrapunkts der Oktave gewesen sein (Thema und drei Kontrapunkte), also ein vierstimmiger Satz, in dem alle Stimmen vertauscht werden können, ohne dass satztechnische Fehler entstehen. Eine solche Satztechnik ist sehr kunstvoll und schwer auszuarbeiten, selbst im Werk von J. S. Bach ist sie eine Seltenheit. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Fuge in f-Moll BWV 857 aus dem ersten Band des Wohltemperierten Klaviers. In T. 13−15 erklingt das Thema im Sopran (= rot), der erste Kontrapunkt im Bass (= grün), der zweite Kontrapunkt im Tenor (= blau) und der dritte Kontrapunkt im Alt (= orange):
Lizenz: CC0-1.0
In den Takten 27−30 vertauscht Bach nun alle Stimmen, so dass das Thema (= rot) im Bass, der erste Kontrapunkt (= grün) im Tenor, der zweite Kontrapunkt (= blau) im Alt und der dritte Kontrapunkt (= orange) im Sopran erklingt:
Lizenz: CC0-1.0
Auch die Versetzungen in anderen Intervallen war üblich: Es gab mehrfache Kontrapunkte in der Dezime, der Duodezime usw. Die folgenden Tabellen zeigen, wie sich Intervalle durch Vertauschung der Stimmen in der Oktave oder der Dezime verändern (die satztechnisch unproblematischen Umkehrungen sind fett markiert).
Kontrapunkt der Oktave | Intervalle (1 = Prime, 2 = Sekunde, 3 = Terz usw.) | |||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Ausgangsintervall | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 |
Intervallumkehrung | 8 | 7 | 6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1 |
Die Tabelle für den doppelten Kontrapunkt der Dezime zeigt, dass die Intervallqualitäten beim Stimmtausch eher unproblematisch sind (Konsonanzen werden zu Konsonanzen, Dissonanzen bleiben Dissonanzen). Doch wird ein anderes Problem sichtbar: gut klingende Sextparallelen in der Ausgangsstimme werden zu fehlerhaften Quintparallelen, Terzparallelen zu Oktavparallelen nach einer Umkehrung:
Kontrapunkt der Dezime | Intervalle (1 = Prime, 2 = Sekunde, 3 = Terz usw.) | |||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Ausgangsintervall | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
Intervallumkehrung | 10 | 9 | 8 | 7 | 6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1 |
Kirnberger warnte bereits zu seiner Zeit davor, über die Faszination kontrapunktischer Kunstfertigkeit den vielleicht wichtigsten Aspekt von Musik nicht zu vergessen:

Johann Philipp Kirnberger, Die Kunst des reinen Satzes, Zweiter Theil, dritte Abtheilung
Berlin und Königsberg 1779, S. 40, Lizenz: CC0-1.0
"Alle doppelcontrapunctische und canonische Künsteleyen sind zu verwerfen, wenn dadurch Fehler wider gute Melodie, richtige Declamation und Asudruck entstehen, und ist alsdenn die Klage der Zuhörer gerecht, wenn sie der Musik zwar das Verdienst der Gelehrsamkeit, aber nicht der Schönheit zugestehen. Es knn also die contrapunctische Künsteley den andern Fehlern, die in einem Stücke sich befinden, niemals zur Entschuldigung dienen. Das Mühsame der Kunst muß nur dem Kenner sichtbar seyn."
Aus Kirnbergers Sicht schienen einige Komponisten angesichts der Herausforderungen des mehrfachen Kontrapunkts nicht ausreichend darauf geachtet zu haben, dass die kapriziösen Klangfolgen auch schön klingen. Die Lehre von den Klangfolgen gilt heute als Kerngeschäft der Harmonielehre.
Harmonielehre
Harmonielehre
Auch der Begriff Harmonielehre lässt sich in einem weiteren und einem engeren Sinne verstehen. In einem weiteren Sinn bezeichnet auch Harmonielehre eine Perspektive, aus der zuerst die Klänge selbst interpretiert und geordnet werden, wobei in einem zweiten Schritt auch die Folge der Klänge in den Blick genommen wird. In diesem weiteren Sinn wäre auch eine Harmonielehre zu atonalen Klangfolgen denkbar (und sogar eine zu Soundfiles, wenn ihre Klänge geordnet und Funktion interpretiert wird).
In einem engeren Sinne zielt die Interpretation der Klänge auf eine Akkordlehre, in der Klänge durch einen Grundton repräsentiert werden. Die Reflexion der Grundtonfortschreitungen und der Stimmführung zwischen Akkordtönen führt dann zur Harmonielehre. Eine Definition in diesem Sinn findet sich im Riemann Musik Lexikon (= RiemannL):
Harmonielehre ist die Lehre vom Aufbau und von der Bedeutung der Akkorde in der dur-moll-tonalen Musik. Dabei meint der Begriff Harmonie alles, was im Akkord und zwischen den Akkorden Zusammenhang stiftet. Die H. ist einerseits eine Theorie der ›natürlichen‹ Beschaffenheit dieser Zusammenhänge, andererseits eine (heute historische) Satzlehre, die sich aus dem Generalbaß entwickelt hat. Theorie und Satzlehre haben sich wechselseitig beeinflußt, so daß theoretische Erkenntnisse häufig nur schwer von praktischen Lehrsätzen zu trennen sind [...].
RiemannL, S. 363.
›Akkord‹ als Fachbegriff
Entscheidend ist, dass Harmonielehre und Akkorde untrennbar verbunden sind (»Harmonielehre ist die Lehre vom Aufbau und von der Bedeutung der Akkorde [...]«). Der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus hat sehr feinsinnig definiert, dass man Akkorde hört, wenn man ein Fundament (Grundton) wahrnimmt. Akkord und Grundton sind demnach zwei Seiten einer Medaille und Harmonielehre beschäftigt sich mit der Fundamentfortschreitung zwischen Akkorden. Mehr zu der Definition von Carl Dahlhaus kannst du in dem Tutorial Akkord oder Dreiklang? Gibt es einen Unterschied? erfahren.
Der Begriff Fundament ist dem Ausdruck Basse fondamentale entlehnt, der im 18. Jahrhundert ein didaktisches Hilfsmittel zur Beschreibung von Harmonieverläufen war. Geprägt hat den Ausdruck der französische Komponist und Musiktheoretiker Jean-Philippe Rameau, der damit eine (gedachte, nicht real erklingende) Bassstimme aus den Grundtönen der Akkorde bezeichnete. Die Rameaurezeption in Deutschland erfolgte in erster Linie über Kirnberger und Marpurg. Marpurg schreibt über die Basse fondamentale Rameaus:
das Wort Grundbass [bezeichnet, Anm. UK] einen Bass, welcher nichts weiter als die rohen Grundaccorde der in dem Generalbass eines Tonstücks enthaltnen vermischten Accorde ohne die geringste Connexion unter sich darleget. Ich sage ohne die geringste Connexion, weil bei der Darlegung der Grundaccorde nicht auf die Art ihrer Fortschreitung unter sich Bedacht genommen, sondern jeder einzelne Accord des Generalbasses bloss in seine Grundaccorde aufgelöst wird [...].
Marpurg 1776, S. 232.
Während Rameau mit dem Fundamentalbass noch eine echte Theorie verband, die regulierte, welche Harmonieverbindungen vorkommen dürfen und welche nicht, scheint sich im deutschsprachigen Raum der Fundamentalbass durchgesetzt zu haben, weil er Schülerinnen und Schülern das Erkennen von Akkordgrundstellungen im Generalbass erleichterte. In diesem Sinne hat Wolfgang Amadé Mozart in Kompositionsheften für seine Schülerin Barbara Ployer den Fundamentalbass verwendet. Im Folgenden siehst du eine Melodiewendung (die an das »Benedictus‹ aus dem Requiem von Mozart erinnert) sowie einen Bass. Der Fundamentalbass darunter war nicht zur Aufführung gedacht, sondern diente der Veranschaulichung, dass zur Harmonisierung nur die Akkorde mit den Grundtönen C und G verwendet worden sind:

Wolfgang Amadé Mozart, Beispiel Fundamentbass aus den Kompositionsheften für seine Schülerin Barbara Ployer, Lizenz: CC0-1.0
Gottfried Weber verwendete dann im frühen 19. Jahrhundert Stufenzeichen, um zu kennzeichnen, welcher Ton Grundton eines Akkordes ist. Mehr zur Chiffrierung von Akkorden (z.B. über Stufen- oder Funktionssymbole) kannst du in dem Tutorial Methoden der musikalischen Analyse – Eine Einführung erfahren.
Zwei Seiten einer Medaille
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Begriffe Kontrapunkt und Harmonielehre problematisch sind, wenn damit linear-horizontale oder harmonisch-vertikale Aspekte von Musik isoliert angesprochen werden. Denn in Kontrapunktlehren waren die Zusammenklänge (harmonisch-vertikale Perspektive) seit je her von Bedeutung, während ein gut singbarer Verlauf lange Zeit als Selbstverständlichkeit galt und vernachlässigt werden konnte. In Harmonielehren dagegen wird dem Vermeiden von Parallelen (linear-horizontale Perspektive) viel Aufmerksamkeit geschenkt. Deshalb ist es hilfreich, sich Kontrapunkt und Harmonielehre als zwei Seiten einer Medaille vorzustellen. Die Medaille ist (wie Musik) eine Einheit, die sich von zwei Seiten (einer harmonischen und einer kontrapunktischen Seite) aus beobachten lässt. Vorder- und Rückseite verweisen dabei immer auf denselben Gegenstand, gleichzeitig aber auch auf verschiedene Beobachterperspektiven. Das folgende Beispiel mag das veranschaulichen:

Lizenz: CC0-1.0