Melodiediktate im klassischen Stil anhand von Mozart-Beispielen

Einführung

„Ich hör das einfach nicht!"

Wer auf hohem Level musiziert, hört auch. Trotzdem werden im Hördiktat von Melodien auch von fortgeschrittenen Student*innen die eklatantesten Fehler notiert. Die häufigsten Bemerkungen, die dazu zu hören sind: „Ich höre einfach nicht, welches Intervall das ist!" oder: „Ich hab das schon wieder vergessen!"
Es gibt nicht das eine Patentrezept für das richtige Hören von Intervallen oder für das bessere Merken von melodischen Zusammenhängen, aber hier sei versucht, einige grundlegende Probleme beim Hören/Notieren zu benennen und Anregungen zum zielführenden Hören zu geben.
Kein Musik machender Mensch kann weismachen, dass sie/er tatsächlich nach nur wenigen Sekunden, einigen Tönen oder Takten nicht mehr weiß, wie der erste Ton geklungen hat oder dass ein Ton des Öfteren wiederkehrt. Notiert also jemand beispielsweise einen wiederkehrenden Anfangston in der Folge als andere Tonhöhe, wurde bestimmt nicht falsch gehört, sondern falsch kombiniert und notiert.

Primacy- und Recency-Effekt

Die kognitive Forschung bestätigt, dass der Mensch sich in der Musik wie in der Sprache besonders gut an das zuerst und das zuletzt Gehörte erinnern kann. Also sollte es z.B. möglich sein, ersten und letzten Ton im Gedächtnis zu vergleichen und bereits nach einem Mal Hören festzustellen, ob der Ton gleich oder verschieden ist. Mit entsprechenden Hörtechniken ist es dann auch möglich, den Schlusston anhand des Anfangstones (meist wird dieser in Diktaten ja gegeben) zu bestimmen, wenn er unterschiedlich ist. Bei guter Konzentration hat man vielleicht sogar die Anfangsfigur im Gedächtnis und noch wahrscheinlicher die Schlusswendung, die ja meistens aus einem relativ überschaubaren Repertoire an Modellen (Klauseln, Kadenzen) stammt. So früh wie möglich notieren, ggf. vorläufig ohne genaue rhythmisch-metrische Zuordnung!

Der Kardinalfehler: Von Ton zu Ton hangeln

Es gibt eine Methode, die ziemlich garantiert zum Misserfolg führt: Der Versuch, Intervall für Intervall, Ton für Ton zu hören und zu notieren. So oft wird kein Melodiebeispiel vorgespielt, dass die/der Hörer*;in mit dieser „Methode" bis ans Ziel kommt. Das Gedächtnis wird mit einer zu großen Menge an unzusammenhängenden Informationen überlastet, so dass damit das Memorisieren von Melodien verhindert wird. Außerdem führt schon ein falsch notiertes Intervall zu ständigen Folgefehlern, die zusätzlich verwirren, weil eine tonale Melodie mit verrutschten Stufen sinnlos und kaum wiedererkennbar ist (erfahrungsgemäß können die Schreiber*innen dieser verzogenen Linien das Notierte meistens gar nicht singen – testen Sie es an folgender Melodie und singen Sie sie mit den notierten Fehlern).

KV 545 I mit nur "einem" Fehler

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Dieses Beispiel ist zwar konstruiert, beinhaltet aber Fehler der Tonhöhennotation, die ähnlich in jeder Unterrichtsstunde mit klassischen Hördiktaten auftauchen. Akzeptiert man, dass verrutschte Stufen nach einem falsch notierten Intervall lediglich einen Folgefehler darstellen, gibt es hier nur einen Fehler. Trotzdem ist wohl offensichtlich, dass diese Melodie außer äußerem Umriss und korrektem Rhythmus kaum etwas mit dem Original zu tun hat – durch die fehlerhafte Intervallstruktur und andersartige inhärente Harmonik ist der Sinn entstellt.

Die wichtigste Hilfestellung: einen Bezugsrahmen schaffen

Als erstes sollte versucht werden, die Melodie in einen Bezugsrahmen zu stellen. Das kann schon vor dem ersten Erklingen beginnen, wenn beispielsweise Tonart und Anfangston des Diktates gegeben sind: Welche Stufe der Tonart ist der angegebene Ton? Selbst, wenn nicht angegeben wurde, ob das Beispiel in Dur oder Moll steht, erlaubt der Anfangston eine Einordnung. Bei einem Kreuz als Vorzeichnung steht ein g sehr wahrscheinlich für G-Dur, für e-Moll allerdings mit einer sehr viel geringeren Wahrscheinlichkeit. Ein d stünde jedoch fast ausnahmslos für G-Dur, ein e oder dis bestimmt für e-Moll. Schon nach 1-2mal Hören sollte versucht werden, eine innere Vorstellung der Tonart zu erlangen. Dies erfolgt mindestens über die Vorstellung des Tonikadreiklangs, besser noch das innere Singen der gesamten Tonleiter mit klarer Idee zu den Funktionen der melodischen Stufen. Die 7. ist der Leitton, die 5. repräsentiert die Dominante, die 4. und/oder 6. gleitet in die darunterliegende Stufe, die 2. vermittelt zwischen 1 und 3.

Stufenbeziehungen am Beispiel a-Moll

Trainiert werden kann das mit Blattsingen, insbesondere mit dem relativen Solmisieren oder dem Stufensingen von einfachen diatonischen Melodien. Doch selbst absolute Solmisation oder deutsche Tonnamen bringen einen weiter, da im Tonraum Bezüge hergestellt werden. Weiterführende Anregungen zum grundlegenden Stufensingen und -hören geben andere Artikel.

Drei mnemotechnische Hilfsstrategien: Gestalt – Struktur – Harmonik

Gestalt: Teil 1 – Tonwiederholung, Linie und Sprung

Jede Melodie hat eine äußere Gestalt – bekannte Melodien könnte man vielleicht schon an einer grafischen Umrisszeichnung erkennen. Nicht umsonst wird auch von „Linie“ gesprochen.

Ahhh, Mozart! ...(?)

Die Richtung einer Figur, also aufwärts, abwärts oder Tonwiederholung, ist wohl prinzipiell klar. Trotzdem werden selbst hier bisweilen Fehler gemacht – dazu fällt eigentlich kein guter Rat mehr ein… Wahrscheinlich aber handelt es sich auch hier um Probleme mit dem Memorisieren und Notieren und nicht wirklich darum, dass die/der Hörende nicht oben und unten unterscheiden kann (Kinder allerdings haben laut Entwicklungspsychologie anfangs andere Hörkategorien als „hoch" und „tief", etwa „hell" und „dunkel").
Ist die Hürde der Richtung genommen, erfolgt die grundlegende Unterscheidung in der Linie zwischen Schritt und Sprung. Dabei ist es zunächst sogar unerheblich, ob ein Schritt in einer kleinen oder großen Sekunde gemacht wird – bei diatonischen Beispielen bestimmen dies die Stufen (Chromatik soll später besprochen werden). Sprünge können oft nicht nur an den erreichten Stufen, sondern auch an den umliegenden Schritten identifiziert werden: Kehrt nach einem Sprung die Linie schrittweise in den ersten Ton zurück, war der Sprung bei 3 Schritten eine Quarte, bei 4 Schritten eine Quinte etc.

Tonwiederholung

KV 504 I, T. 37ff

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Prager Symphonie (Nr. 38), KV 504 I., T. 37ff (Mockup)

Linie aufwärts – Linie abwärts

KV 545 I. T. 5ff

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KV 309 III., Beginn

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Symphonie Nr. 40 KV 550 I. Beginn

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Provided to YouTube by Universal Music Group
Mozart: Symphony No.40 in G minor, K.550 - 1. Molto allegro · Orchestra Of The 18th Century · Frans Brüggen

Linie + Sprung in Gegenrichtung

KV 333 I., T. 23ff

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Linie und/oder Sprung + Sprung in eine Richtung

KV 333 III., T. 64ff

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Übungen
Anmerkung: Alle Gehörbildungsdiktate werden hier mit einem Klaviersound plus Klicktrack vorgespielt. Das Tempo entspricht jeweils ca. 2/3 des Originaltempos, vor jeder Melodie erklingt ein Takt als Einzähler (bei Auftakt ein Takt + der vollständige Takt mit Auftakt). Während des Einzählers erklingt der jeweilige Tonikadreiklang.

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Die Lösungen werden hier nicht angezeigt, die Originalwerke finden sich z.B. auf Neue Mozart Ausgabe online.

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