Differenzielles Üben mit Gruppen (Schulklassen)

Dieser methodische Vorschlag zu einem differenziellen Üben mit Gruppen beruht auf dem Artikel Differenzielles Üben am Klavier von Philipp Weiß.

„Effizientes Lernen wird begünstigt durch das bewusste Erzeugen von Unterschieden, von Variationen, durch das umfassende Abtasten des Lösungsraums in dessen Randbereichen. Dies passiert dabei immer spielerisch, angetrieben von der Neugier nach andersartigen Klängen und kompositorischen Möglichkeiten, mit wachem Zuhören und improvisatorischem Geist und nie technisch im bloßen Wiederholen und Automatisieren von Varianten!“
Philipp Weiß

Diese Maxime kann und soll auch für das Üben mit Gruppen bspw. beim Klassenmusizieren oder bei Ensemblearbeit gelten. Jedoch anders als beim differenziellen Üben am Klavier finden oft nicht die Übenden selbst „Varianten des Differenzierens“ oder stellen sich „eigene herausfordernde Aufgaben“ (s. Artikel von Weiß). Solche Überlegungen zum methodischen Vorgehen beim Üben übernimmt zuerst die Lehrkraft.
Dabei ist zu beachten, dass – anders als bei Einzelpersonen – die persönlichen Probleme und Schwierigkeiten, die jede und jeder Einzelne in der Gruppe hat, nicht immer individuell über eine Variation des Übens angegangen werden können. Innerhalb einer Gruppe sind die verschiedensten Fähig- und Fertigkeiten zu beobachten: Während die eine Schülerin noch mit Erinnerungsvermögen hinsichtlich der Melodie zu kämpfen scheint, hat ein anderer Schüler eher motorische Schwierigkeiten bei der Tonerzeugung. Wiederum andere scheinen rhythmisch Verschiedenes zu bevorzugen und links hinten singt eine Schülerin bereits eine zweite Stimme sauber zur vorgegebenen Xylophon-Melodie.
Für alle in der Gruppe gleichzeitig ein effizientes differenziertes Üben zu ermöglichen, setzt eine methodische Anleitung voraus, welche die Kompetenzspanne innerhalb der Gruppe im Blick hat. Einerseits ist somit eine Variation des Übens zu wählen, die tatsächlich ein Wiederholen im Sinne von „Sicherung“ ermöglicht und die Wiederholung nicht zu einem überfordernden Abenteuer werden lässt. Schülerinnen und Schüler, die noch mit der Übung „kämpfen“, sollten ebenso die Zeit bekommen, zumindest ein wenig „über“ der Musik oder Spieltechnik stehen zu können. Andererseits sollte die Variation erfahreneren jungen Menschen eine etwas andere Perspektive auf die Musik oder ihr Spiel (oder ihr Singen) geben können.

In Anlehnung an die von Weiß zitierten Kategorien Martin Widmaiers (Zur Systemdynamik des Übens. Differenzielles Lernen am Klavier, Schott 2016), sollen hier zusätzlich Kategorien genannt werden, die innerhalb von Schulklassen oft gut funktionieren. Natürlich sei noch kurz erwähnt, dass Klassenmusizieren vielerlei impliziert und die Möglichkeit „im Springen“ nicht unbedingt ein Xylophon spielend, sondern eher singend gedacht ist.

Geografie des Übens (Mensch)

  • Position im Klassenraum verändern (sitzen, hocken, stehen, Platzwechsel, an der Wand lehnend, in der Raummitte, im Gehen, im Springen, im Schleichen, singend durch die Gänge ziehen...)
  • beide Augen zu oder auch nur eines, Kapuze über die Ohren ziehen, alle die Sonnenbrillen auf...
  • Extra große Bewegungen machen, minimaler motorischer Aufwand...
  • Rücken an Rücken mit jemand anderem, Schulter an Schulter, nur auf den linken Nachbarn hören, im Kreis sitzen/stehen...

Geografie des Übens (Musik)

  • Der Musik einen anderen Charakter geben: „wie ein Elefant“, „wie ein Vogel“, „wie eine Schlange“ spielen/singen. (Auch die jungen Menschen können sich Tiere oder Charaktere wünschen.) Bei dieser umfassenden und gleichzeitig sehr spielerischen Übung werden meist bereits Dynamiken, Tempi und Artikulationen von der Gruppe verändert.
  • Die Musik/Melodie in einer anderen Oktavlage spielen.
  • Einzelne Schülerinnen und Schüler dürfen in ihrem eigenen Tempo einzählen, die anderen setzen ein.
  • Wenn nicht bereits bei den Tier-Charakteren geschehen: Dynamiken vorgeben und gleichzeitig die Fachbegriffe (piano, forte, mezzoforte usw.) üben.
  • Falls bei der ausgewählten Musik möglich, „Auf der Mauer, auf der Lauer“ spielen: Es fällt bei jeder Wiederholung ein Ton am Ende weg. Dabei die Höraufgabe stellen: Welches Mal klingt Musik/Melodie/Rhythmus gut, welches Mal okay und bei welchem Durchgang seltsam?
  • Als Lehrkraft selbst eine zweite Stimme oder einen Kontrapunkt dazu spielen/singen.
  • Ein Playback organisieren.
  • Wenn Instrumente gespielt werden: alles als Luft-Instrument. (Also ein gleichzeitiges Spiel, bei dem die Töne nicht erzeugt werden.)

Genau wie auch beim differenziellen Üben am Klavier ist jedoch darauf zu achten, dass die Varianten des Übens nicht einfach nur in ihrer Buntheit nebeneinanderstehen, sondern innerhalb einer Übeeinheit einen „Lösungsraum“ erschließen.