Modell

Der Begriff Modell lässt sich auf das lateinische modus (Maß, Maßstab, Weise; auch Form oder Vorschrift) zurückführen. Ein Modell kann demnach ein Vorbild (Maßstab, Vorschrift) für einen Gegenstand oder ein Abbild (Weise, Form) eines Gegenstandes sein. Herbert Stachowiak (1921−2004), der eine häufig rezipierte pragmatische Modelltheorie entwickelt hat, benennt Abbildung, Verkürzung und Pragmatik als notwendige Merkmale eines Modells und erläutert:

Modelle sind stets Modelle von etwas, nämlich Abbildungen, Repräsentationen natürlicher oder künstlicher Originale, die selbst wieder Modelle sein können. Der Abbildungsbegriff fällt mit dem Begriff der Zuordnung von Modell-Attributen zu Original-Attributen zusammen. Ihm liegt der mathematische (mengentheoretische, algebraische) Abbildungsbegriff zugrunde. [...]
Modelle erfassen im allgemeinen nicht alle Attribute des durch sie repräsentierten Originals, sondern nur solche, die den jeweiligen Modellerschaffern und/oder Modellbenutzern relevant scheinen. Zu wissen einmal, daß nicht alle Originalattribute von dem zugehörigen Modell erfaßt werden, zum anderen, welche der Originalattribute vom Modell erfaßt werden, setzt die Kenntnis aller Attribute sowohl des Originals als auch des Modells voraus. [...]
Modelle sind ihren Originalen nicht per se eindeutig zugeordnet. Sie erfüllen ihre Ersetzungsfunktion a) für bestimmte — erkennende und/oder handelnde, modellbenutzende — Subjekte, b) innerhalb bestimmter Zeitintervalle und c) unter Einschränkung auf bestimmte gedankliche oder tatsächliche Operationen. [...]
Eine pragmatisch vollständige Bestimmung des Modellbegriffs hat nicht nur die Frage zu berücksichtigen, wovon etwas Modell ist, sondern auch, für wen, wann und wozu bezüglich seiner je spezifischen Funktionen es Modell ist.

Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, Wien 1973, S. 131−133.

In Anlehnung an aktuelle Konzepte der Programmierung lassen sich Modelle als Abstraktionen von Objekten verstehen, die über Klassen oder Prototypen repräsentiert werden, welche durch Attribute (Eigenschaften) und Funktionen (Methoden) charakterisiert sind. Sowohl für den allgemeinen Modellbegriff als auch für den der Programmierung gilt dabei,

daß in der Begriffshierarchie die folgende konverse Relation gilt: je größer und weiter der Umfang des Begriffs [des Modells], desto kleiner und ärmer sein Inhalt, und umgekehrt. Der zu gewinnende allgemeinste Modellbegriff wird demzufolge der inhaltsärmste sein — unbeschadet der Spezifität seiner Merkmale, die es exakt zu erarbeiten und eindeutig zu fixieren gilt.

Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, Wien 1973, S. 130

Im musiktheoretischen Diskurs wird die Ansicht vertreten, Modell sei »primär − abstrakte − Struktur, ›Topos‹ die Einheit von Struktur und geschichtlich definierter Bedeutung/Funktion« (Hartmut Fladt, »Modell und Topos im musiktheoretischen Diskurs«, in: Musiktheorie 20 (2005), S. 344). Diese Ansicht bzw. die Reduktion eines Modells auf strukturell-satztechnische Eigenschaften zeigt eine unangemessene Verkürzung des Modell-Begriffs im Sinne Stachowiaks.