Die Quinte
Die Quinte zählt wie die Oktave zu den perfekten Konsonanzen und galt im Kontrapunkt des 15. und 16. Jahrhunderts als schlussfähiges Intervall. Die Intervallfolge Terz-Quinte bzw. imperfekte Konsonanz → perfekte Konsonanz unter Berücksichtigung eines Leittonanschlusses hatte dabei eine vergleichbare Schlusswirkung wie die Folge Sexte-Oktave. Quint-Schlussklänge, die über einen Halbtonanschluss von oben erreicht werden, konnten dabei aufgrund der Beschaffenheit des Tonsystems (bzw. aufgrund des Stammtons b und der chromatischen Töne fis-cis-gis-es) ursprünglich nur auf den Tönen e, a und d auftreten:
Das folgende Beispiel zeigt die Anfangstakte der altfranzösischen Rondeau Comment puet on mieus ses maus dire von Guillaume de Machaut:
Im ersten und fünften Takt sind Quint-Oktavklänge sowie im dritten ein Quintklang zu sehen. Diese Klänge in perfekten Konsonanzen gliedern den musikalischen Verlauf und sind vergleichbar mit Atemzäsuren in der Sprache. Die Quinten werden dabei über den oben beschriebenen Leittonanschluss erreicht (d-fis zu c-g). In Musik des 15. und 16. Jahrhunderts ergeben sich darüber hinaus durch Terz-Quint-Klangfolgen nicht selten Verbindungen, die für ein modernes, an Dreiklängen und Funktionen orientiertes Hören ungewöhnlich sind. Denn die wie eine Dominant-Subdominant-Progression wirkende Intervallfolge 3-5 ist in Musik des 18. und 19. Jahrhunderts nur in ganz bestimmten Kontexten üblich:
Wurde die Quinte im 15. Jahrhundert auch im Außenstimmensatz als schlussfähiges Intervall angesehen (vgl. hierzu die Quintlagenschlüsse in Motetten des 15. Jahrunderts), wandelte sich ihre Bedeutung in Musik des 18. und 19. Jahrhunderts erheblich. Denn die geringe Vollkommenheit gegenüber der Oktave führte dazu, dass Quintlagenschlüsse für öffnende und Oktavlagenschlüsse für schließende Wirkungen eingesetzt wurden.
Das Korrespondieren von Quintlagenschluss (Halbschluss) und Oktavlagenschluss (Ganzschluss) lässt sich beispielhaft in der ersten Periode des Themas aus Mozarts Kopfsatz der Klaviersonate in A-Dur (KV 331) studieren:
W. A. Mozart, Sonate für Klavier KV 331, 1. Satz, Klavier: Guiomar Novaes (1955), Lizenz: Public Domain (in Deutschland )
In melodischer Hinsicht kann die Quinte ein Anzeichen für einen authentischen Melodieverlauf sein, der sich im Rahmen einer Oktave (Dezime) bewegt und deren Finalis (bzw. in moderner Terminologie deren Grundton) an der unteren Ambitusgrenze liegt:
Die charakteristische Quinte zwischen Finalis (1. Ton) und Repercussa (5. Ton) am Anfang des Quintus aus dem Salve Regina von Jacobus Vaet verrät zum Beispiel einen authentischen Melodieverlauf mit Finalis g, obgleich die abgebildete Melodiephrase nicht auf der Finalis endet:
Tenor: Ulrich Kaiser
Charakteristische Quinten zwischen dem Grund- und Quintton prägen auch den Anfang vieler Volks- und Kinderlieder wie zum Beispiel Morgen kommt der Weihnachtsmann und Wach auf, meins Herzens Schöne. Das französische Volkslied Ah vous dirais-je, Maman, dessen Anfang ebenfalls das authentische Quintintervall kennzeichnet, ist durch zwölf wunderschöne Variationen von W. A. Mozart (KV 265) bekannt geworden:
Aufgrund dieser melodischen Qualität des Quintintervalls werden Liedanfänge in der Gehörbildung häufig als Merkhilfen verwendet. Doch auch in anderen Kontexten ist das Quintintervall sehr typisch, z.B. in der Bassstimme einer Quintfallseqenz mit Grundakkorden: