Die Dodekaphonie, also die „Zwölftonmusik", ist ‒ ganz ihrem Namen nach ‒ erst einmal „nur" das Verwenden der zwölf unterschiedlichen Töne unseres Tonsystems. Und zwar mit der Grundregel, dass kein Ton bevorzugt wird, sondern erst wieder erklingt, wenn alle anderen auch erklungen sind. Dafür bildet man eine Reihe, in der sich die Töne hintereinander „anstellen" – solche Verfahrensweisen kennst du beispielsweise aus dem Sport: Alle stellen sich in einer beliebigen Reihenfolge hintereinander auf und absolvieren dann die Übung. Wenn man fertig ist, stellt man sich wieder hinten an. Damit die ganze Sache gerecht ist, überholt man die anderen beim Anstehen nicht oder drängelt sich nicht vor.
Welche Töne eigentlich?
Wie du weißt, gibt es in der Musik die Stammtonreihe, bei der die sieben unterschiedlichen Töne je eigene Bezeichnungen haben und zum Beispiel im deutschsprachigen Raum so heißen:
c d e f g a h.
Im anglo-amerikanischen Raum nennt man sie
c d e f g a b.
Wenn du absolute Solmisationsilben kennst, könnte es sein, dass du die oben genannten Töne auf Silben singst, zum Beispiel:
do re mi fa so la si.
Im Folgenden verbleiben wir bei der deutschsprachigen Bezeichnung.
Nun kann man jeden dieser Stammtöne ein bisschen heller und etwas dunkler machen („alterieren"). Man spricht in der Musik dann tatsächlich von „Verfärbung" und kann sich diese in einer Analogie zu einem Wasserfarbmalkasten vorstellen: Du kannst mit Blau, Hellblau oder Dunkelblau malen. Doch immer ist die Grundfarbe Blau. In der Musik gibt es das auch: Ein c kann ein bisschen heller (höher) oder dunkler (tiefer) werden, ohne dass es seinen „Grund"-Namen verliert.
Grundsätzlich ist die Regel so: Wird ein Stammton heller „gefärbt", also nach oben alteriert, wird die Nachsilbe „is" an die Bezeichnung angehängt. Wird der Stammton tiefer alteriert, wird ein „es" an seinen Namen gehängt. So kann aus einem „c" ein „cis" oder ein „ces" werden, aus einem „d" ein „dis" oder ein „des", aus einem …
Allerdings hat sich im Laufe der Zeit (aus verschiedenen Gründen) so mancher Spitzname oder Vereinfachung eingeschlichen.
- Bilde von jedem Stammton der Regel nach die Alterationen. Wenn du mit der Maus über die Tabelle fährst, kannst du deine Lösung kontrollieren.
- Welche Bezeichnungen in der Tabelle sind demzufolge Spitznamen oder Vereinfachungen, wenn du die Regel anwendest?
All diese Alterationen kann man nicht nur sprachlich deutlich machen, sondern auch schriftlich als Symbol über den Notentext. Dafür gibt es die „Versetzungszeichen", die anzeigen, dass der Stammton „verfärbt" ist:
Nun kann man die Alteration natürlich auch hören:
c - cis - c - ces - c
gespielt vom Klavier
c - cis - c - ces - c
gespielt von einer Querflöte
- Checker-Aufgabe: Wie viele unterschiedliche Töne gibt es dann in unserem Tonsystem?
Historisch und musiktheoretisch gesehen ist es nicht ganz sooo einfach, da zwar "fis" und "ges" im gleichstufig temperierten System die gleiche Frequenz benennen, doch zu völlig anderen Familienanwesen gehören und auf Instrumenten, die nicht tongebunden sind, auch anders bzw. flexibel intoniert werden können (also tatsächlich nicht ganz exakt auf dem gleichen Ort wohnen). – Wer mag, findet hierzu viele spannende Seiten im Internet.
Wir verbleiben erst einmal bei der Klaviatur, da sich die Zwölftonmusik, gelinde gesagt, auch nichts um die Familienanwesen (also den harmonischen Kontext) von "fis" oder "ges" schert, sondern "fis" und "ges" als einen Ton auffasst. Man kann in der Dodekaphonie also diese Töne enharmonisch verwechseln.
Die zwölf Töne hintereinander von unten nach oben
auch Chromatische Tonleiter genannt
Zwar gibt es in der Dodekaphonie auch Tricks und Regeln, wie die Reihenfolge der zwölf Töne sein soll, damit beispielsweise ein wirklich atonales Werk oder eines im Stile von Arnold Schönberg oder Anton Webern oder sonstwem herauskommt, doch das kümmert uns im Moment nicht.
Zuerst einmal können die zwölf Töne in einer beliebigen Reihenfolge stehen. Es ist nur wichtig, dass wirklich jeder einmal da ist. Damit kann man sich lustige neue Klaviaturen bauen:
drei mögliche Tastaturen
► Eine kombinatorische Frage: Wie viele unterschiedliche Reihen (Tastaturen) kann ich mit den zwölf Tönen bilden?
Man kann aber auch einfach die normale Tastatur nehmen und die Töne mit den Zahlen von 1 bis 12 benennen. (Das ist übrigens für das heimische Klavier daheim die weit freundlichere Variante, da sie keinen Hammer benötigt.)
- Versuche dir die Reihenfolge der ersten der oben abgebildeten "möglichen Tastaturen" auf dieser Tastatur hier (unten) vorzustellen.
g - f - ais/b - h - cis/des - a - fis/ges - d - gis/as - e - c - dis/es
Wenn du die Maus darüberziehst, siehst du, ob die richtig bist/warst.
"unsere" Grundreihe
Diese erste Reihe, die man sich "baut", wird
Grundreihe
genannt und ist nichts anderes, als du bisher schon gemacht hast: Die Anordnung der zwölf Töne in einer bestimmten Reihenfolge. Zum Beispiel eben:
g - f - ais/b - h - cis/des - a - fis/ges - d - gis/as - e - c - dis/es
In der Zwölftonmusik ist es eigentlich auch so, dass diese Grundreihe als erstes ertönt. Oft wird sie in ihrer Grundgestalt ein paar Mal gespielt. Dann kommen Variationen dieser Grundreihe in Spiel:
Variation (1) Krebs
Man darf die Reihe einfach von hinten her spielen. Das "Eselsbrücken-Märchen" dazu geht so: Krebse laufen rückwärst. (Das stimmt aber nicht. Wenn dann sind es Krabben und die laufen nicht rückwärts, sondern seitwärts.)
Nehmen wir wieder die Grundreihe von oben: g - f - ais/b - h - cis/des - a - fis/ges - d - gis/as - e - c - dis/es
TIPP: Wenn du die Grundreihe einfach von hinten her liest, also von rechts nach links, bekommst du die Krebs-Variation.
Krebs
Anwendung der Regel (1)
Krebs
Variation (2) Umkehrung
Hier schaut man sich das Intervall (Abstand zwischen zwei Tönen) und die Richtung (nach oben oder nach unten) von dem ersten zum zweiten Ton an. Das Intervall lässt man gleich, aber die Richtung ändert man. Diese Variation nennt man Umkehrung oder auch Spiegelung. Klar, der Abstand zwischen den verschiedenen Tönen wird einfach in die andere Richtung gespiegelt; was hoch ging, geht nun runter, was runter ging, geht nun hoch...
Nehmen wir auch hier wieder die Grundreihe von oben: g - f - ais/b - h - cis/des - a - fis/ges - d - gis/as - e - c - dis/es
Das Intervall vom ersten zum zweiten Ton der Grundreihe ist eine große Sekunde: g - f. Diese geht abwärts (grüne Beschriftung). Deshalb musst du nun für die Umkehrung eine große Sekunde aufwärts gehen (gelbe Beschriftung). Nun hast du die Töne g - a. Dies schaut hier sehr symmetrisch aus. Das ist aber nicht immer so!
Das Intervall vom zweiten zum dritten Ton der Grundreihe ist eine Quarte: f - b. [Natürlich könnte man den dritten Ton auch enharmonisch verwechseln und das Intervall von f - ais benennen. Dies wäre eine übermäßige Terz. Allerdings macht man sich dadurch das Leben schwerer als man muss.] Diese Quarte ist abwärts geführt (grüne Beschriftung). Für die Umkehrung musst du also eine Quarte aufwärts gehen und jetzt kommt der Clou: Das musst du von dem neuen zweiten Ton, also dem a, und so bekommst du als neuen dritten Ton das e (gelbe Beschriftung).
TIPP: Du kannst für den Abstand der Töne zueinander (also die Intervalle) auch einfach die Tasten "zwischen" den Tönen der Grundreihe abzählen. Wichtig ist, dass du wirklich von Taste zu Taste zählst, schwarz und weiß ist hier gleichberechtigt!
Vom g zum f sind es drei Tasten: g - fis/ges - f. Somit musst du nun drei Tasten vom g in die andere Richtung: g - gis/as - a.
Oder eben vom zweiten Ton f zum dritten Ton ais/b sind es sechs Tasten. Diese vom neuen Ton a in die andere Richtung... a - gis/as - g - fis/ges - f - e.
Natürlich kannst du auch Halbtöne abzählen oder einfach die Intervalle lernen!
Umkehrung
Beispielhafte Anwendung der Regel (2)
- Checker-Aufgabe: Wie lautet die Umkehrung unserer Grundreihe komplett?
Umkehrung
Variation (3) Krebsumkehrung
Man kombiniert den Krebs und die Umkehrung und erhält die Krebsumkehrung. Also eine Reihe, die man von hinten anfängt und bei der alle Intervalle in die andere Richtung gehen.
Eine Graphik dazu erspare ich euch... Ich denke, ihr könnt euch eine rückwärts-gespiegelte Klaviatur mit 22 gelb-grünen Pfeilen und pinken Nummerierungen ansatzweise vorstellen.
TIPP: Hat man die Umkehrung bereits gebildet, liest man diese einfach von rechts nach links, also rückwärts.
Krebsumkehrung
Variationen (4) (5) (6) ...
Man... es gibt noch andere Möglichkeiten der Reihenvariation. Teils sind sie sogenannte "Personalstile" (also: ein einzelner Komponist verwendet diese Variation gerne) oder man verwendet nur Abschnitte der Grundreihe und spielt sich damit. Manchmal findet man auch zwei Grundreihen, die dann nacheinander, miteinander und ineinander kombiniert und verwurstelt werden...
"unsere" Grundreihe
...ais oder b? - welchen Ton denn nun?
Wie du siehst, habe ich mich nun entscheiden müssen, ob ich ein ais oder ein b notiere. Zuerst einmal wäre es ja egal, welchen der beiden Töne ich notiere, doch ist es gängig Töne zu wählen, die in notierter Musik öfters vorkommen und selbst also "gängiger" sind. Diese Konvention fußt unter anderem auf den Tonarten und dem sukzessiven "Anstieg" der Vorzeichen:
Ein b ist das erste b-Vorzeichen bei den Tonarten F-Dur oder d-Moll, ein b und ein es sind die beiden Vorzeichen bei den Tonarten B-Dur oder g-Moll...
Hingegen ist ein ais bereits das fünfte Kreuz (in den Tonarten H-Dur oder gis-Moll) und auch ein dis ist erst an viertelr Stelle bei den Kreuztonarten zu finden (E-Dur oder cis-Moll). Deshalb wählt man meist in den Grundreihen "naheliegende" Tonnamen.
...hoch oder tief? - Oktavlage
Bei der Zwölftonmusik ist es schlichtweg egal, in welcher Oktave der jeweilige Ton steht. Im Prinzip könnte man die obige Grundreihe aus so notieren und dennoch wäre sie die gleiche:
"unsere" Grundreihe über verschiedene Oktaven
Doch während die Oktavlagen innerhalb von Musik sehr wohl entscheidend sind, sind sie bei dem Konstrukt der Grundreihe sowie ihrer Variationen nur ein Lese-Erschwernis. Oft ist es sogar Konvention, die zwölf Töne so zu setzen, dass nur die kleineren Komplementärintervalle innerhalb der Oktave vorkommen. Das heißt, man setzt die Töne so in die Oktaven, dass beispielweise keine Sexte, sondern eine Terz als Intervall zu lesen ist.
Bei "unserer" Grundreihe ist das Intervall vom vierten zum fünften Ton eine kleine Septe: h' zu cis'. Nun kann man das cis ja einfach um eine Oktave nach oben transponieren (verschieben) und erhält: h' - cis'', was als Intervall eine große Sekunde ist (also das Komplementärintervall zur kleinen Septe: große Sekunde + kleine Septe = Oktave).
Bei Quarten und Quinten (auch vermindert oder übermäßig) hingegen entscheidet man sich oft so, dass die folgenden Töne der Reihe innerhalb der fünf Notenlinien verbleiben. Bei "unserer" Grundreihe ist so ein Moment vom achten zum neunten Ton.
Somit sähe "unsere" Grundreihe nun so aus:
nochmals: "unsere" Grundreihe
Grundreihe und Krebs
Umkehrung und Krebsumkehrung
...noch kurz: Notenwerte und Akkorde
Innerhalb der Zwölftonkomposition ist es egal, welchen Notenwert der Ton hat (Ganze Note, Halbe Note, Viertel, Achtel, Sechszehntel...) – genauso sind Dynamik, Artikulation und andere Spielweisen fei wählbar. Entscheidend ist nur die Einhaltung der Reihenfolge.
Man kann auch Töne übereinander stapeln (das sind dann Akkorde), solange man in diesen Tonpaketen aufeinander folgende Reihentöne verwendet.
In einer Kleinstkomposition über "unsere Grundreihe" könnte das dann so aussehen:
- Bastel dir auf diesem Notenpapier eine Grundreihe aus den zwölf Tönen.
- Versuche auch die Umkehrung hinzubekommen.
Wie solche 12-Ton-Kompositionen "in echt" aussehen und klingen, erfährst du unter anderem hier.
Wenn du selber mit deiner Grundreihe + Variationen einen 12-Ton-Walzer schreiben möchtest, dann klicke hier.