Kadenzen 2 (dreistimmig)

Voraussetzungen: Synkopendissonanz, Kadenzen 1 (zweistimmig)


Inhaltsverzeichnis

Tenorklausel in der Unterstimme

Als Schlussklänge von Kadenzen waren bis zum 16. Jahrhundert vollkommene, ›perfekten‹ Konsonanzen üblich und speziell in Kirchenmusik finden sich entsprechende Kadenzen auch noch im 17. Jahrhundert (W. A. Mozart verwendet einen ›leeren‹ Schlussklang als Retro-Effekt beim Schlussklang seines Kyries eleison im Requiem KV 626 sogar noch im ausgehenden 18. Jahrhundert). Das folgende Beispiel zeigt eine sogenannte Parallelkadenz, in deren Schlussklang (Ultima) nur perfekte Konsonanzen erklingen, wobei sowohl die Quinte als auch die Oktave über einen Halbtonanschluß erreicht werden:

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Aufgrund der beiden Halbtonanschlüsse wird diese Form der Parallelkadenz auch als Doppelleitonkadenz bezeichnet. Die Chromatik der Doppelleitonkadenz ist zwar aus kontrapunktischer Sicht verständlich, wurde im Hinblick auf den Modus im 16. Jahrhundert als problematisch empfunden. Das musikalische Hören scheint sich in dieser Zeit insoweit verändert zu haben, dass man auf den Halbtonanschluss in der Mittelstimme verzichtete. Die folgende Parallelkadenz klingt für unser heutiges Hören vertrauter. Parallelkadenzen werden aufgrund der Tenorklausel in der Unterstimme auch als Tenorkadenz bzw. tenorisierende Kadenz bezeichnet:

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Der Name Parallelkadenz für die im Vorangegangenen beschriebenen Schlusswendungen wird ersichtlich, wenn im Schlussklang eine imperfekte Konsonanz erklingt. Denn in diesem Fall bewegt sich die dritte Stimme zur Tenorklausel (= blau) in Parallelbewegung (Terzen). Das folgende Beispiel zeigt die Sopranklausel in der Mittelstimme, die Tenorklausel im Bass und die Parallelbewegung zur Tenorklausel in der Oberstimme. Das Ergebnis ist ein ›modern‹ klingender Außenstimmensatz in Dezimparallelen sowie ein Schlussklang mit einer imperfekten Konsonanz bzw. Terz in der Oberstimme.

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Diese Kadenz hat gegenüber Kadenzen, in denen der Außenstimmensatz des Schlusskangs durch eine Oktave gebildet wird, eine tendenziell öffnende Wirkung. In dem folgenden Beispiel erklingt eine Kadenz zweimal, bei der Wiederholung mit Stimmtausch der Oberstimmen. Der Außenstimmensatz des ersten Kadenzabschlusses ist durch eine Terz, der Außenstimmensatz des zweiten durch eine Oktave charakterisiert. Der direkte Vergleich veranschaulicht die tendenziell ›öffnende‹ Wirkung der Terzlage gegenüber der eher ›schließenden‹ Wirkung der Oktavlage:

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Die Bassklausel

Für Kadenzen mit Tenor- und Sopranklausel in den Oberstimmen ist eine Unterstimme charakteristisch, die als Bassklausel bezeichnet wird:

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Wenn in dieser dreistimmigen Kadenzform eine Schlussterz im Schlussklang vorhanden sein soll, wird die Tenorklausel üblicherweise nicht mit einem Sekundschritt abwärts, sondern mit einem Sekundschritt aufwärts beendet:

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Melodisch besteht die Bassstimme, die auch als Bassklausel bezeichnet wird, aus einem Quintsprung abwärts (oder ein Quartsprung aufwärts). Kontrapunktisch bildet sie eine Unterquinte zur Tenorklausel, wodurch aus harmonischer Sicht ein dominantischer Klang entsteht. Der Septimvorhalt der zweistimmigen Kadenz wird dabei aus der Perspektive des Basses zu einem Quartvorhalt. Kadenzen mit einer Bassklausel im Bass werden auch als Basskadenz oder bassierende Kadenzen bezeichnet.
Eine 6-5-Seitenbewegung der Bassstimme zur Tenorklausel bewirkt aus heutiger Sicht einen subdominantischer Klang, die Chromatisierung der Untersexte eine Doppeldominante:

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Erklingt anstelle des abschließenden Quintfalls (oder Quartanstiegs) ein Sekundschritt aufwärts, hören wir modern gesprochen einen Trugschluss. Die Terzverdopplung im Trugschluss hat dabei einen musikalischen (und nicht satztechnischen) Grund, denn die verdoppelte Terz ist Schlusston der zweistimmigen Kadenz. Da durch die Bassführung die Schlusswirkung vermieden wird, zeigt der Trugschluss eine mögliche Form des »fuggir la cadenza«.

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Sopranklausel im Bass

Eine ganz andere Wirkung entfaltet eine dreistimmige Kadenz, wenn die Sopranklausel im Bass erklingt:

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Kontrapunktisch gesehen besteht diese Kadenz aus einer zweistimmigen Kadenz sowie der bereits bekannten Überterzung der Tenorklausel. Aufgrund der unvollkommenden Schlusswirkung wurde diese Kadenz im 17. und 18. Jahrhundert nicht am Ende, sondern am Anfang von musikalischen Phrasen verwendet.

Notationsdateien der in dem Artikel verwendeten Beispiele