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Franz Schubert – Der Zwerg (2). Zur Kompositionstechnik

Die Konsequenz, mit der Schubert in Der Zwerg historisch besetzte Tonartenfarben zur Darstellung von Dramatik (c-Moll), Fabelwesen (h-Moll), Frömmigkeit (A-Dur) und Tod (es-Moll) verwendet, macht Staunen und wirft die Frage auf, wie es Schubert gelingt, die harmonischen Brüche derart zu gestalten, dass diese ein homogenes Ganzes bilden. Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich daher mit der kompositionstechnischen Seite der Zwerg-Komposition und fragen insbesondere danach, wie der Zusammenhalt der tonartlich heterogenen Teile technisch bewerkstelligt wird.

Inhaltsverzeichnis

Parallelismus als Struktur

Die folgende Abbildung zeigt einen Parallelismus aufwärts, der mit der Harmoniefolge a-Moll → G-Dur → C-Dur beginnt:

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Schubert verwendet nun dieses Parallelismus-Modell als Struktur, um seine komplexe Tonartendisposition im Dienste der Dramaturgie zu realisieren. Die folgende Abbildung zeigt Schuberts Chromatisierung des Modells, wobei die Textstellen unter den Noten eine Orientierung in der Partitur ermöglichen:

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Insbesondere vor dem Hintergrund des Parallelismus, der den ersten 63 Takten der Komposition als Struktur eingeschrieben ist, wird erklärlich, wie die unterschiedlichen und in recht kurzem Abstand aufeinander folgenden Tonartenfarben a-Moll, c-Moll und h-Moll einen harmonischen Zusammenhang bilden können. Der Grund liegt darin, dass die Mechanik des Modells den Verbindungen der Strophen eine hohe Stabilität verleiht, während demgegenüber die Chromatik lediglich als akzidentielle Verfärbung wahrgenommen wird.

Die chromatische 5-6-Konsekutive

Nach der Vorstellung des Zwerges in der exterritorialen Tonart h-Moll versetzt Schubert den Zwerg wie bereits erwähnt in die Tonart der dramatischen Handlung (bzw. auf die tonartliche Ebene der Königin). Da der Parallelismus nur Tonarten auf einer Terzachse verbinden kann (a-Moll → c-Moll → ... G-Dur → h-Moll), Schubert jedoch für seine Dramaturgie die Schritte h-Moll → c-Moll sowie c-Moll → Des-Dur benötigt, wählt er hierfür die 5-6-Konsekutive bzw. ein weiteres älteres kontrapunktisches Modell:

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In der linken Hälfte der Abbildung ist das Modell der 5-6-Konsekutive als zweistimmiger Gerüstsatz zu sehen, in der rechten Hälfte der Akkordsatz und eine von Schubert gewählte Abweichung. Modell und Abweichung verdeutlichen, dass Schubert insbesondere am Neapolitaner zu den Textworten »So werd' ich ewiglich...« (mich selber hassen) gelegen war, da er hier auf einen naheliegenden As-Dur-Akkord verzichtet, um den Neapolitaner effektvoll in Szene zu setzen.

Für die sich anschließende Verbindung von Des-Dur und b-Moll verwendet Schubert wieder einen chromatisierten Parallelismus (Verbindung von auf einer Terzachse liegenden Akkorden) und wählt für die Rückmodulation nach a-Moll (picardisch aufgehellt) die Verbindung eines verminderten Septakkords und eines Dominantseptakkords, auf die eingangs bereits hingewiesen worden ist:

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An dieser Stelle allerdings führt Schubert den Dominantseptakkord herbei, indem er die drei oberen Stimmen eines DDv (e-g-b-des) um einen Halbton nach oben verschiebt (e-gis-h-d, die Wendung wird beim Berühren der Abbildung grün markiert). Der Modulation wird damit das Prozesshafte genommen, so dass sie auf eine vergleichbare Weise kaleidoskopartig klingt wie die vorangegangenen Tonartenübergänge.

Für die nun folgenden Verbindung von a-Moll → b-Moll und Ges-Dur greift Schubert wieder auf die chromatisierte 5-6-Konsekutive zurück, wobei er durch entsprechende Gestaltung sogar eine motivische Verbindung zwischen seinen weitgreifenden Modulationen herstellt:

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Zirkelmodell als Fragment

Als dramatischer Höhepunkt des Liedes kann die Stelle gelten, an welcher der Zwerg die Königin durch einen Kuss tötet. Schubert löst hier den Klaviersatz zu einer dürren Zweistimmigkeit auf, mit der die Musik gleichsam abwärts zu rutschen scheint. Die Bewegung wird aufgefangen durch eine wieder mehrstimmig erklingende es-Moll-Kadenz mit picardischer Aufhellung. Hinter dem kargen zweistimmigen Satz verbirgt sich ein im 19. Jahrhundert beliebtes harmonisches Zirkelmodell:

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Schubert hat sich allerdings an dieser Stelle für eine enharmonisch-vereinfachte Notation entschieden:

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Die Rückmodulation von es-Moll in die Ausgangstonart a-Moll lässt sowohl Anklänge an einen chromatischen Parallelismus als auch an den bereits an exponierter Stelle gehörten verminderten Quintsprung im Bass (e-g, hier: c-fis) sowie einen verminderten Septakkord (e-g-b-des, hier: fis-a-c-es) erkennen. Allerdings werden an dieser formalen Position nicht drei Stimmen aufwärts, sondern lediglich eine Stimme (der Bass) um einen Halbton abwärts geführt, wodurch ein Dominantseptkkord erklingt (f-a-c-es). Dieser Klang, der wie ein übermäßiger Quintsextklang aufgelöst wird, ist dem Klang der Einleitung (f-a-h-dis) funktional äquivalent, die Auflösung wirkt daher farbig, gleichzeitig aber auch bekannt bzw. plausibel.

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