Frauen im Orchester

Inhalt

1 Didaktische Einbettung

Möglich wäre zum Beispiel ein Einsatz in der Wissenschaftswoche des neuen G9 in Bayern innerhalb des Rahmenthemas „Geschlechterrollen“.

Aufgabe

a) Berechne den Frauenanteil der nachfolgenden Orchester.

b) Vergleiche deine Ergebnisse und beschreibe die Unterschiede in der Geschlechterverteilung zwischen deutschen Orchestern und nicht-deutschen Orchestern.

 

Menge der Männer

Menge der Frauen

Stand der Daten

New York Philharmonic

44

45

2022

Berliner Philharmoniker

100

25

2024

Orchester des bayerischen Rundfunks

68

38

2024

Netherlands Philharmonic Orchestra

46

35

2024

Shanghai Symphony Orchestra

64

51

2024

Wiener Philharmoniker

121

23

2022

2 Frauen in deutschen Berufsorchestern

Um eine umfassende Aussage über den Frauenanteil in Orchestern zu treffen, muss natürlich eine deutlich größere Menge an Orchestern untersucht werden:

Der nachfolgende Abschnitt beruht auf der Vollerhebung des Deutschen Musikrats bzw. des Deutschen Musikinformationszentrums (miz) in Kooperation mit der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) und dem Deutschen Bühnenverein. Die Nutzung dieser Daten für diesen Open-Music-Academy-Artikel wurde vom Deutschen Musikrat freundlicherweise genehmigt.
Die im Folgenden angegebenen Zahlen sind Auszüge einer Erhebung zwischen Dezember 2019 und Januar 2021, bei der analysiert wurde, wie die Geschlechter in den 129 deutschen, öffentlich finanzierten Orchester verteilt sind. Dabei wurden die einzelnen Stimmgruppen, die unterschiedlich hohen Dienststellungen, die Menge der Planstellen, die tarifliche Eingruppierung und die Orchesterkategorie berücksichtigt. Im Folgenden wurde nur auf die Kategorien „Stimmgruppe“ und „Höhe der Dienststellung“ beleuchtet.

[Über die Menge der nicht-binären Personen wird in der Untersuchung keine Angabe gemacht]

2.1 Gesamtverteilung

Von den 9.884 erfassten Orchestermitglieder Deutschlands sind insgesamt 60,4% Männer und 39,6% Frauen . Innerhalb der Stimmgruppen unterscheidet sich diese Verteilung jedoch.

Aufgabe

Triff mithilfe des nachfolgenden Diagramms eine Aussage über den Zusammenhang zwischen Instrumentengruppe sowie Tiefe des Instruments und dem Frauenanteil in dieser Instrumentengruppe bzw. diesem Instrument.

2.2 Verteilung nach Stimmgruppe

  • Streichinstrumente: Insgesamt ist im Streicherapparat der Orchester ein fast ausgeglichenes Geschlechterverhältnis (Frauenanteil: 49,6%) festzustellen. Umso tiefer das Instrument, desto weniger Frauen sind jedoch zu finden (Violine 1: 59,1% aber Kontrabass: 14,7%).
  • Blasinstrumente: 904 von 3.521 Personen im Bläserapparat sind weiblich (= 25,7%). Jedoch ergibt sich auch hier eine unregelmäßige Verteilung. Während bei den Holzblasinstrumenten noch ein vergleichsweise hoher Frauenanteil zu finden ist (Flöte: 65,4%; Oboe: 42,4%; Klarinette: 21,8%; Fagott 26,4%; auch hier nimmt die Prozentzahl mit der Tiefe des Instruments tendentiell ab!), ist der Befund im Blechblassatz ein anderer: Unter den Hornspielenden findet man noch 22,5% Prozent Frauen. Trompete (5,3%), Posaune (3,5%) und Tuba (1,9%) werden in deutschen Berufsorchestern nur sehr selten von Frauen gespielt.
  • Harfe: Hier ist der Frauenanteil mit 93,7% mit Abstand am höchsten.
  • Pauke/Schlagwerk: Nur 4,6% der Musiker und Musikerinnen sind weiblich.

2.3 Verteilung nach Höhe der Dienststellung

Die Stellen in einem Orchester haben unterschiedliche Wertigkeiten. Man unterscheidet höhere Dienststellungen (Konzertmeister/-meisterin, Stimmführer/-in, Solostellen, einschließlich Stellvertretung) und niedrigere Dienststellungen (Vorspieler/-in, Tutti, sonstige Positionen). Die Wertigkeit der Dienststellung schlägt sich in Gehalt und Menge der führungsrelevanten Aufgabenbereiche nieder.
Der Frauenanteil bei höheren Dienststellungen ist 28,4% und bei niedrigen Dienststellungen 47,5%. Vergleicht man dies mit dem durchschnittlichen Frauenanteil in deutschen Berufsorchestern von 39,6% ergib sich auch hier erneut eine disproportionale Verteilung.

Bei näherer Betrachtung der Instrumentengruppen fällt auf:

  • Streichinstrumente: Während 49,6% des Streichapparats Frauen sind, sind nur 32,7% der höheren Dienststellen innerhalb dieser Gruppe an Streicherinnen vergeben.
  • Blasinstrumente: Hier entspricht der Anteil an Frauen in höheren Dienststellungen (25,1%) fast dem Anteil der Frauen an allen Spieler*innen (25,7%).

Insbesondere bei der höchsten Dienststellung (der „Solo“-Stelle) ist der Anteil der Frauen mit dieser Position jedoch dennoch fast immer geringer als der Gesamtanteil der Frauen an diesem Instrument. Ausnahmen findet man nur bei der Harfe (generell sehr hoher weiblicher Anteil) und der Tuba (hier sind jedoch nur insgesamt zwei Frauen bei 105 Stellen zu finden!). Auch hier lohnt sich ein genauer Blick auf die einzelnen Instrumente der Orchester (alle Daten finden Sie hier auf S. 7-10).

2.4 Altersstruktur in deutschen Berufsorchestern

Die Altersstruktur zeigt, dass die Bemühungen um eine ausgeglichenere Geschlechterverteilung in deutschen Orchestern Früchte tragen: Während bei den älteren Musikern und Musikerinnen (älter als 45 Jahre) die Männer deutlich stärker vertreten sind, stellt sich bei den Musizierenden unter 45 Jahren langsam eine gleichmäßige Verteilung ein:

3 Frauen bei den Wiener Philharmonikern – Die Nachzügler

Zwischen dem Orchester der Wiener Staatsoper und den Wiener Philharmonikern besteht ein besonderes Verhältnis: Nur wer im Staatsopernorchester das Probejahr bestanden hat und dort auch drei Jahre Diensterfahrung gesammelt hat, kann einen Antrag auf Aufnahme beim Orchesterverein der Wiener Philharmoniker stellen.

3.1 Die erste Frau im Wiener Staatsopernorchester

In Wien bestand Mitte Ende der 1950er Jahre ein Problem beim Finden einer passenden und ausreichend kompetenten Besetzung für die Harfenstelle. Über 13 Jahre (1958-1971) ist der Harfenist der Staatsoper Harald Kautzky bei den Wiener Philharmonikern eingesprungen und wurde erst anschließend aufgenommen. Lange bestanden Zweifel an seiner Eignung und so wurde 1962 auch die Aufnahme der amerikanischen Harfenistin Christine Anders (geb. Stavrache) diskutiert. Der Widerstand gegen ein weibliches Mitglied war groß, obwohl Hubert Jelinek (der damalige Harfenprofessor in Wien) Anders empfahl und feststellte:

„Dass Frauen früher oder später kommen werden, damit müsst ihr euch abfinden, da es keine männlichen Schüler in meiner Klasse gibt. Probiert sie einmal aus, ob sie euch passt.“

(Hubert Jelinek in: Merlin, Christian: Die Wiener Philharmoniker. Das Orchester und seine Geschichte von 1842 bis heute. Band I, Wien: Amalthea Signum Verlag, 2017, S. 262.)

Da bereits der renommierte Dirigent Herbert von Karajan die Christine Anders nach einem Probespiel einstellen wollte und bei der Leitung der Staatsoper Angst bestand, dass die Harfenistin sich stattdessen auf die freiwerdende Stelle beim Konkurrenzorchester (Wiener Symphoniker) bewerben würde, wurde sie nun doch als erste Frau des Staatsopernorchesters engagiert. Anders spielte dort von 1963 bis 1970, wurde jedoch bei den Wiener Philharmonikern nie aufgenommen.

3.2 Einstellung von Frauen bei den Wiener Philharmonikern

Die feste Vergabe einer Stelle bei den Wiener Philharmonikern findet erst 1997 statt. Im Vergleich zu anderen europäischen Orchestern ist dies besonders spät (vgl. Pariser Oper (1909) oder Berliner Philharmoniker (1982)).
Auf der Suche nach Gründen für diese späte Entscheidung findet man in alten Interviews von Orchestermitgliedern verschiedene Erklärungsansätze:

  • Manche Musiker befürchteten, dass Frauen im Orchester zu Liebesbeziehungen und Eifersuchtsszenen zwischen den Mitgliedern führen und somit den Zusammenhalt des Orchesters gefährden würden.
  • Der ehemalige Soloflötist sah die Vorteile eines rein männlichen Orchesters in der ‚emotionalen Geschlossenheit‘. Auch sein Kollege in der zweiten Geige schätzte, dass er beispielsweise bei einer emotional aufgeladenen Mahler-Sinfonie von Männern umgeben war. Die räumliche Entfernung zu der weiblichen Kollege an der Harfe scheint diese Einheit nicht zu gefährden.
  • Es bestand die Befürchtung, dass Frauen in Karenz/Mutterschutz nicht ausreichend schnell ersetzbar wären und somit keine Kontinuität in der Besetzung bestehe. Der ehemalige Paukist schlug vor, dass Frauen in Feigenblattfunktion eher an hinteren Pulten gesetzt werden und somit die Führungsstellen gleichbleiben.

Ausschlaggebend für die Aufnahme der Harfenistin Anna Lelkes als erste Frau bei den Wiener Philharmonikern scheint Druck aus dem In- und Ausland gewesen zu sein. Während schon innerhalb Österreichs Initiativen ergriffen wurden, um den Frauenausschluss zu brechen (z.B. durch die Frauenministerin Helga Konrad oder durch die Androhung einer Klage seitens der Frauenbeauftragten des Landes Salzburg) scheint das imminente Scheitern der US-Tournee des Orchesters ausschlaggebend gewesen zu sein: Die Vereinigung „International Alliance for Women in Music“ (unterstützt von der Wiener Musikpädagogin Regina Himmelbauer) rief zu einem Boykott der Tournee auf und die Carnegie Hall drohte mit einem Hausverbot. Der Orchestervorstand Werner Resel sprach sich vehement gegen die Einstellung von Frauen aus und wäre sogar bereit gewesen, das Orchester auszulösen:

"Wir sind ein Privatverein und lassen uns nicht dreinreden. Wenn man uns diesbezüglich ständig unter Druck setzt, lösen wir uns auf.“

(Vor 25 Jahren fiel die Männerbastion Wiener Philharmoniker in: Salzburger Nachrichten, 22.02.2022, https://www.sn.at/kultur/musik/vor-25-jahren-fiel-die-maennerbastion-wiener-philharmoniker-117416914 (Stand: 14.04.2023).)

Am 27. Februar 1997 wurde dennoch bekanntgegeben, dass bei den Wiener Philharmonikern nun auch Musikerinnen aufgenommen werden. Werner Resel trat daraufhin von seinem Vorstandsposten zurück. Als erst Frau wird Anna Lelkes eingestellt, welche schon bereits 26 Jahre im Orchester der Wiener Staatsoper gespielt hatte und auch häufig bei den Philharmonikern ausgeholfen hatte.

Seitdem wurden mehrere neue Musikerinnen eingestellt. 2022 hatte das Orchester 23 weibliche (=16%) und 121 männliche Mitglieder.

Seit 2011 ist Albena Danailova erste Konzertmeisterin der Wiener Philharmoniker.

4 Quellen