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Felix Mendelssohn Bartholdy: Sinfonie Nr. 5 d-Moll (»Reformation«)

Felix Mendelssohn (1809–1847) entstammte einer angesehenen und wohlhabenden jüdischen Familie. Er und seine drei Geschwister Fanny, Rebecka und Paul wurden 1816 christlich-protestantisch getauft und der Familienname erhielt den Zusatz Bartholdy.

Die zweite Sinfonie, die Mendelssohn 1829/1830 für die volle sinfonische Besetzung schrieb, war eine Sinfonie in d-Moll. Sie erhielt später den Beinamen Reformation und ist erst nach dem Tode des Komponisten unter der Opuszahl 107 veröffentlicht worden. Gründe für den Beinamen waren einerseits der Kompositionsanlass (Auftragsarbeit zum 300. Jahrestag des Augsburger Bekenntnisses in Berlin), andererseits Mendelssohns Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben sowie die deutlichen Choral-Zitate in der Sinfonie.
Rezeptionsgeschichtlich wurde an der Sinfonie kritisiert, dass sie zu kontrapunktisch sei und zu wenig schöne Melodien enthalte. Schärfster Kritiker der Sinfonie allerdings war der Komponist selbst, der in Briefen sein Werk als »jugendliche Arbeit« bezeichnete, die man »dem Gefängnis in meinem Schrank nicht entwischen lassen« dürfe und die er lieber als jedes andere seiner Werke »verbrennen« wolle. Mendelsohns scharfe Kritik sollte dabei im Kontext gesehen werden, denn der Komponist war Perfektionist und betrachtete seine Werke zeitlebens kritisch. Manchmal versah er seine Partituren sogar noch bis kurz vor der Drucklegung mit Korrekturen. Wäre die Sinfonie allerdings wirklich so schlecht gewesen, hätte Mendelssohn sie wohl tatsächlich verbrannt.

Inhalt

1. Satz

1. Satz: Andante – Allegro con fuoco

Andante
Hs
Ül
Ss
Sg
Df
RA
Hs
Ss
Sg
--:-- / --:--

Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 107 (Reformations-Sinfonie), 1. Satz: Andante – Allegro con fuoco
Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch
Konzertmitschnitt mit Postproduktion der Hochschule für Musik und Theater München 2022, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Die Sinfonie beginnt mit einem Andante in D-Dur, das mit einer Wendung endet, die sich als Zitat des Dresdner Amens interpretieren lässt.
Der folgende Allegro-Satz lässt sich über das Modell der Sonatenhauptsatzform verstehen. Einem Hauptsatz (Hs) in d-Moll folgt eine bewegte Überleitung (Ül) sowie ein Seitensatz (Ss) in der Nebentonart a-Moll (Tonart der V. Stufe). Der Seitensatz lässt sich als Satz aus einem achttaktigen Vordersatz und einem stark erweiterten Nachsatz interpretieren. Dem Seitensatz schließt sich eine Schlussgruppe (Sg) an, die mit einer Art Mannheimer Walze beginnt und mit Kadenzen in der Nebentonart a-Moll endet. Einer ausgedehnten Durchführung (Df) folgt eine stark verkürzte Reprise, in der Mendelssohn auf die Formfunktion Überleitung zugunsten einer erweiterten Schlussgruppe verzichtet.

2. Satz

2. Satz: Allegro vivace

A
A
B
A'
B
A'
C
C
D
C
A
B
A'
(Erweiterung)
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Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 107 (Reformations-Sinfonie), 2. Satz: Allegro vivace
Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch
Konzertmitschnitt mit Postproduktion der Hochschule für Musik und Theater München 2022, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Der zweite Satz in B-Dur erinnert einerseits aufgrund des Tempos an ein Scherzo, andererseits an einen aus Sinfonien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekannten Menuett-Satz mit der Satzfolge Menuett – Trio – Menuett.
Menuette kennzeichnen häufig eine äußere zweiteilige Form (erkennbar an Doppelstrichen und Wiederholungen) sowie eine innere dreiteilige Form (durch eine Wiederkehr des Anfangs bzw. Reprise). Die Form wird auch als dreiteilige Liedform bezeichnet und in Buchstaben wie folgt chiffriert:

Ausgeschrieben müsste sie eigentlich wie folgt chiffriert werden:

A
A
B
A
B
A

Dem Menuett folgt ein Trio in G-Dur mit identischer Form, jedoch mit reduzierter Besetzung und dominierenden Holzbläsern. Zur Chiffrierung werden üblicherweise die folgenden Buchstaben gewählt:

Ausgeschrieben müsste es wie folgt chiffriert werden, wobei Schumann auf die Wiederholung des zweiten Teils (D-C) verzichtet:

C
C
D
C
D
C

Nach dem Trio war es üblich, das Menuett ohne Wiederholungen zu wiederholen, wodurch sich eine sog. zusammengesetzte Liedform ergibt:

Eine Besonderheit bei Mendelssohn ist es, dass der Komponist nicht mehr – wie z.B. Mozart oder Haydn – unabhängige Sätze notiert, sondern die Form durchkomponiert. Damit war er auch Wegbereiter für Komponisten wie z.B. Johannes Brahms, der im Poco Allegretto bzw. dem 3. Satz der III. Sinfonie Op. 90 auf vergleichbare Weise verfährt.

3. Satz

3. Satz: Andante

A-Teil
B-Teil
A'-Teil
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Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 107 (Reformations-Sinfonie), 3. Satz: Andante
Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch
Konzertmitschnitt mit Postproduktion der Hochschule für Musik und Theater München 2022, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Der 3. Satz ist ein kurzes Andante in dreiteiliger Liedform (ABA). Aufgrund des religiösen Hintergrunds der Sinfonie wird im Hinblick auf die Hauptmelodie des Satzes gerne auf das jüdische Volkslied bzw. den Friedensgruß Hevenu Schalom alechem verwiesen. Abgesehen davon, dass die Herkunft dieser Liedmelodie ungesichert und das Lied in unterschiedlichsten Kontexten anzutreffen ist (z.B. in einem orientalischen Marsch-Intermezzo von K. F. Haberl sowie der Werbung einer auf türkisch-orientalischen Tabak spezialisierten Zigarettenfabrik), lässt sich eine Ähnlichkeit nur für die ersten beiden Melodiephrasen behaupten. Deren isolierte Betrachtung allerdings zerstört den melodisch-harmonischen Zusammenhang.
Kompositionsgeschichtlich erinnern der Ausdruck und das melodisch-harmonische Satzmodell des Satzbeginns an bekannte Kompositionen in g-Moll (wie z.B. an den Anfang der g-Moll-Sinfonie KV 550 oder der Arie der Pamina »Ach ich fühl's« aus der Zauberflöte von W. A. Mozart).

4. Satz

4. Satz: Choral – Allegro vivace – Allegro maestoso

Zum Beginn des 4. Satzes erklingt im Andante con moto der Lutherchoral »Ein feste Burg ist unser Gott«. Die ersten beiden Zeilen werden dabei nur in den Holzbläsern gespielt, wobei der reine Holzbläsersatz (ohne Unterstützung der Streicher) als charakteristisches Merkmal romantischer Sinfonik bezeichnet werden kann. Dem Choral folgt ein Allegro vivace, das mit Elementen des Chorals über eine ausgedehnt Dominante das Allegro maestoso vorbereitet und wie eine Einleitung zu ihm hinführt.

In dem Allegro maestoso in D-Dur können wie bereits im Kopfsatz die Formfunktionen der Sonatenhauptsatzform zur Orientierung hilfreich sein. Der Hauptsatz (Hs) besteht aus einem Forte-Tutti mit einer fanfarenartigen Melodik. Die Überleitung (Ül) ist demgegenüber im Piano gehalten und polyphon im Sinne eines Fugatos ausgearbeitet. Ein kompositorisches Vorbild hätte Mendelssohn im Schlusssatz der Sinfonie in C-Dur Hob:I:97 von Joseph Haydn finden können, der in diesem Sinfoniesatz die modulierende Überleitung sogar als Fugenexposition anlegt. Den Beginn des Seitensatzes in der Nebentonart A-Dur charakterisiert das akkordische Spiel der Holzbläser. Dynamisch ist die Formfunktion Durchführung auf eine besondere Art gestaltet, da in ihr durchweg in verhaltener Lautstärke die Zeilen des Chorals zu hören sind. Wie im Kopfsatz verkürzt Mendelssohn auch im Schlusssatz die Reprise, indem er hier nur einen kleinen Abschnitt des Hauptsatzes verwendet. Die Überleitung ist dagegen wieder durch die aus der Exposition bekannte polyphone Ausarbeitung geprägt. Der Seitensatz in der Reprise erklingt verkürzt im Tutti-Forte. Die Schlussgruppe beginnt mit einem groß angelegten Crescendo und sie beschließt den Satz im großen Pathos mit den ersten beiden Zeilen des Chorals »Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen«.

Choral
Allegro vivace
Hs
Ül (Fugato)
Ss
Sg
Choralmelodien
Ül (Fugato)
Ss
Sg
Choral
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Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 107 (Reformations-Sinfonie), 4. Satz: Choral – Allegro vivace – Allegro maestoso
Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch
Konzertmitschnitt mit Postproduktion der Hochschule für Musik und Theater München 2022, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Materialien

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Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 107 (Reformations-Sinfonie)
Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch
Konzertmitschnitt mit Postproduktion der Hochschule für Musik und Theater München 2022
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Satz

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1. Andante – Allegro con fuoco

2. Allegro vivace

3. Andante

4. Choral – Allegro vivace – Allegro maestoso

Dritter und vierter Satz werden oftmals – aufgrund der engen Verbindung der Sätze – als eine einzigen Audio-Datei angeboten, findest du nachstehend auch die beiden letzten Sätze in einer Audiodatei zum Herunterladen:

  1. und 4. als kombiniertes Audiofile

Noten