Akkord oder Dreiklang? Gibt es einen Unterschied?

In dem folgenden Tutorial findest du Überlegungen des Musikwissenschaftlers Carl Dahlhaus zu den Begriffe Akkord und Klang. In diesem Tutorial geht es also um eine kleine Genauigkeit, die einen großen Unterschied macht. Du solltest unbedingt weiterlesen, wenn du noch nie über die Bezeichnung C-Dur-Dreiklang nachgedacht hast ...

Inhalt

Definition

Der berühmte Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus hat eine Unterscheidung zwischen Akkord und Dreiklang vorgeschlagen:

›Akkord‹ wurde ursprünglich der bloße Zusammenklang verschiedener Töne bezeichnet. In der Theorie der tonalen Harmonik aber werden erstens nur drei- oder mehrtönige Zusammenklänge als Akkorde bezeichnet, zweitens die zweitönigen Zusammenklänge als Fragmente von drei- oder viertönigen interpretiert, drittens die Akkorde nicht als Resultate, als Zusammensetzungen von Tönen und Intervallen, sondern als unmittelbar gegebene Einheiten aufgefaßt und viertens die Abstände zwischen den Grund- oder Bezugstönen der Akkorde als Kriterium der Klangverbindungen betrachtet.

Carl Dahlhaus, Untersuchungen über die Entstehung der harmonischen Tonalität, Kassel 1968, S. 57.

Es lohnt sich, über diesen langen (und leider auch komplizierten) Satz ein wenig nachzudenken. Dahlhaus sagt:

  • Alle möglichen Töne, die zusammen erklangen (also z.B. auch die Töne c-e-g), wurden früher als Dreiklang bezeichnet.
  • Heute werden Kombinationen aus drei oder mehr Tönen als Akkorde bezeichnet, wenn wir zu diese als eine unmittelbare Einheit mit einem Grundton auffassen.
  • Dadurch können wir sogar Terzen als Akkorde (und nicht als Intervalle) hören. Zum Beispiel ist es möglich, c-e oder sogar e-c als C-Dur-Akkord ohne die Quinte g zu hören (probiere es auf dem Klavier aus, es funktioniert tatsächlich!).
  • Wir erkennen eine Akkordfolge an der Beziehung ihrer Grundtöne (und die Regeln, nach denen bestimmte Akkordfolgen gut klingen, versucht die Harmonielehre – mit mehr oder weniger Erfolg – in Regeln zu fassen).

Eine Frage der Wahrnehmung

Carl Dahlhaus spricht von einem Akkord, wenn wir einen Grundton hören. Akkord und Grundton sind demnach zwei Seiten einer Medaille, was nichts weniger heißt, als dass es kann keinen Akkord ohne Grundton und keinen Grundton ohne Akkord geben kann.

So einfach diese Definition wirkt, so weitreichend sind die sich daraus ergebenden Konsequenzen. Denn die Existenz von Akkorden knüpft Dahlhaus an die individuelle Wahrnehmung:

  • Nehme ich in Musik Grundtöne wahr, höre ich Akkorde.
  • Nehme ich in Musik keine Grundtöne war, höre ich Klänge.

Das heißt, verschiedene Menschen können ein und dasselbe musikalische Ereignis verschieden wahrnehmen bzw. als Akkord oder als Klang auffassen (je nachdem, ob ein Grundton gehört wird oder nicht). Für eine wissenschaftlich exakte Verständigung macht es deshalb einen Unterschied, ob man von einem Akkord oder von einem Klang spricht, da die jeweilige Benennung Aufschluss über die individuelle Hörweise des Analysierenden gibt.

Beispiele

Welche Akkorde hörst du in dem folgenden Beispiel 1?

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Hörst du es so wie in dem folgenden Beispiel 2?

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Oder vielleicht so wie in dem Beispiel 3?

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Jedoch wahrscheinlich nicht so wie in dem Beispiel 4?

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Die vier vorangegangenen Beispiele veranschaulichen Folgendes:

  1. Es ist möglich, dass man die Töne eines Akkordes sieht, jedoch den Grundton eines anderen Akkordes hört. Im dritten Takt dürften die meisten Menschen mit musikalischer Ausbildung G als Grundton hören, zu sehen sind dagegen die Töne c-e-g. In diesem Fall nimmt man die Sexte e als Vorhalt zur Quinte d und die Quarte c als Vorhalt zur Terz h war, wie es die Fundamente in den Beispielen 1–3 deutlich machen.
  2. Es ist möglich, dieselben Töne in unterschiedlichen Kontexten verschieden wahrzunehmen. Beispielsweise werden einige die Töne f-a-d im zweiten Takt als ein F-Dur mit Sexte hören, im 7. Takt dagegen als d-Moll-Akkord. Das liegt daran, dass am Anfang die Bassstufen einer I-IV-V-Kadenz hören und deswegen das d im Sopran als Zusatz interpretieren. Am Ende des Beispiels wirken die Fundamente a-d-g jedoch stimmig, weil die Quintfallharmonik dominiert, wodurch wir das d im Sopran als Grundton wahrnehmen können.

Genauigkeit, die einen Unterschied macht, oder: Nachlässigkeiten im Alltag

Quartsext-Vorhalt

Für die Beispiele oben ist es umgangssprachlich üblich, den dritten Takt als Vorhalts-Quartsextakkord zu bezeichnen. Nach der Definition von Dahlhaus ist das ein Widerspruch in sich, denn entweder hören wir einen Vorhalt, dann ist es kein Akkord oder wir hören einen Akkord, dann ist es kein Vorhalt. Genau genommen hören wir einen Quartsext-Vorhalt zu einem G-Dur-Akkord. Hast du das im Alltag schon einmal so gesagt?

C-Dur-Akkord

Eine weitere Ungenauigkeit begehst du, wenn du von einem C-Dur-Dreiklang sprichst. Denn entweder hörst du c als Grundton, dann hörst du keinen Dreiklang, sondern einen Akkord, oder du hörst einen Dreiklang, dann kannst du c nicht als Grundton wahrnehmen. Sagst du C-Dur, sprichst du immer von einem Akkord, die Töne c-c♯-d dagegen bilden einen Dreiklang.

Warum man Grundtöne nicht ausrechnen kann

Eine unzureichende Akkorddefinition macht glauben, der Grundton eines Akkords ließe sich bestimmen, indem man alle Töne in Terzen anordnet, wobei dann der unterste Ton der Grundton ist. Doch diese Definition ist unzureichend, was die folgenden Beispiele veranschaulichen.

Die Sixte ajoutée

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DIe Sixte ajoutée ist eine Subdminante mit hinzugefügter Sexte, die sich nach Rameau plagal auflöst (also im Fundament mit einem Quartfall abwärts). Im Beispiel oben kannst du sehen, dass die Töne d-f-a-c im 3. und 7. Takt verschiedene Bedeutungen haben. Am Anfang erklingen diese Töne in der Bedeutung eines d-Moll-Septakkords (mit dem Grundton d), am Ende dagegen als Sixte ajoutée haben, also eines F-Dur-Akkords mit hinzugefügter Sexte d. Der Fundamentbass im nächsten Beispiel macht die unterschiedlichen Bedeutung hörbar:

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Zum Beispiel: Popharmonik

Oder höre dir den Bedeutungswechsel der Töne c-d-e-g in dem folgenden Beispiel an, die für sich genommen nach einem Cadd9 klingen, in einem anderen Kontext auch ein Dm9/C sein könnten:

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Grundtöne erleben, nicht ausrechnen!

Die Methode, alle Töne in eine Terzenschichtung zu bringen, funktioniert nur mit einfachen, isolierten Akkorden und versagt schnell, wenn es um Musik geht. Ohne, dass Grundtöne gehört (und gesungen) werden können, ist das Bestimmen von Grundtönen mit – quasi mit dem Rechenschieber – wertlos.