Inhalt
Was bisher geschah:
- Du hast verschiedene musikalische Parameter (Melodik, Harmonik, Instrumentation, Text) für die musikalische Analyse eingesetzt.
- Du hast dir eine konkrete Klangvorstellung von Songs erarbeitet und diese formal analysiert.
- Du hast die Strukturmodelle SRDC, Satz, Periode sowie die Satzmodelle Kadenz und Parallelismus und deren Bedeutung für die formale Analyse kennengelernt.
- Du hast eine Definition für den Formteil Verse kennengelernt.
Lernziele:
- Du lernst eine Definition für den Formteil Chorus kennen.
- Du übst dich in der Anwendung der Modelle SRDC, Satz und Periode.
- Du achtest bewusst auf die Funktion des Textes.
Was ist ein Chorus?
Die Popularmusikforscher Ken Stephenson und Walter Everett definieren den Chorus als Formteil wie folgt:
The arrival of a group of singers usually marks the beginning of (in fact provides the name for) the Chorus. The entrance of other Instruments (strings, for instance) can help deliniate the form as well.
Ken Stephenson, What to Listen for in Rock?, New Haven und London 2002, S. 126.
In addition of the lyric function, the larger-than-life Chorus often has a thicker texture, and perhaps more dramatic harmonies, melodic shape, or rhythms than are characteristics of the verse, which often settles down to its individualistics, sometimes intimate nature.
Walter Everett, The Foundation Of Rock, New York 2009, S. 145.
Die Definitionen zeigen, dass sich der Begriff Chorus dem Ursprung nach auf eine musikalische Struktur bzw. eine Soundeigenschaft bezieht. In dem Song Der Weg von Herbert Grönemeyer erklingt dreimal ein Chorus, der durch eine eingängige Melodie (Hook) in hoher Lage, die Instrumentation und den Mix gleich beim erstmaligen Hören als ein »Larger-than-life«-Chorus ins Ohr geht:
Ich kann nicht mehr seh'n [...]
Wir waren verschwor'n [...]
Wir haben uns geschoben [...]
Du hast jeden Raum [...]
Den Film getanzt [...]
Du hast jeden Raum [...]
Dein sicherer Gang [...]
Ich gehe nicht weg [...]
Herbert Grönemeyer, Der Weg (2002), Musik/Text: Herbert Grönemeyer, Quelle: Youtube
Während in diesem Song die Bestimmung der grünen Formteile als Chorus völlig unstrittig sein dürfte, fällt auf, dass im letzten Chorus nicht der Text aus den ersten beiden Chorus-Formteilen wiederholt, sondern dass ein neuer Text (bzw. eine neue Strophe) gesungen wird. Würde man den Chorus also über das Erscheinen eines sich wiederholenden Textes definieren, dürfte der letzte Chorus in Der Weg nicht als solcher bezeichnet werden. Diese Beobachtung hat Konsequenzen.
15 Minuten
Definitionen
Um das oben skizzierte Problem zu lösen, wird vorgeschlagen, die Begriffe Verse und Chorus von den Begriffen Strophe, Refrainzeile und Refrain zu trennen. Der Chorus wird dabei wie folgt definiert:
Als Chorus wird ein Formteil eines Pop-/Rocksongs bezeichnet.
Die Musik eines Chorus-Formteils kann aus mehreren Abschnitten bestehen und lässt sich häufig über Modelle wie SRDC, Periode oder Satz als eine Einheit auffassen. Der Chorus-Formteil tritt in einem Song in der Regel mehrfach auf. Um Wiederholungen interessanter zu gestalten, sind verschiedene Techniken gebräuchlich, z.B. eine Steigerung in der Instrumentierung bzw. im Mix oder eine Sequenzierung um einen halben oder ganzen Ton aufwärts. Eine Besonderheit ist der Breakdown-Chorus, der klanglich stark zurückgenommen wird und die Möglichkeit für eine neue Steigerung bietet. Der Text der Chorus-Formteile ist in der Regel in jeder Wiederholung gleich. Allerdings können auch verschiedene Texte im Chorus gesungen werden.
Die Fachbegriffe Verse und Chorus beziehen sich nach den hier gegebenen Definitionen also in erster Linie auf Musik bzw. eine musikalische Gestaltung. Das wiederum eröffnet die Möglichkeit, die Begriffe Strophe, Refrainzeile (die bereits im Zusammenhang mit dem Verse angesprochen wurde) und Refrain ausschließlich zur Beschreibung von Text zu verwenden:
Strophe: Eine Strophe ist eine aus einzelnen Versen, also aus metrisch-rhythmisch geformten Zeilen bestehende Einheit eines Liedtextes.
Refrainzeile: Eine Refrainzeile (Anfangskehrreim) ist eine einzelne Textzeile, die am Anfang, in der Mitte (Binnenkehrreim) oder am Ende (Endkehrreim) von Strophen erscheinen kann.
Refrain: Ein Refrain (Kehrreim) ist die identische (bzw. nahezu identische) Wiederkehr von Versen innerhalb eines Liedtextes.
Es ergeben sich die folgenden Kombinationsmöglichkeiten:
Möglichkeit 1 | Möglichkeit 2 | Möglichkeit 3 | Möglichkeit 4 | |
---|---|---|---|---|
Text | Strophe (mit oder ohne Refrainzeile) | Refrain | Refrain | Strophe (mit oder ohne Refrainzeile) |
Musik | Verse | Chorus | Verse | Chorus |
In der Literatur mögen die Möglichkeiten 1 und 2 am häufigsten anzutreffen sein, die Trennung der englischsprachigen Begriffe zur Bezeichnung musikalischer Formteile und der deutschsprachigen zur Beschreibung des Textes ermöglicht flexible Beschreibungen jenseits der Standards.
30 Minuten
Übungen
Höre dir die folgenden Songs an und achte auf die Funktion des Textes. Beantworte anschließend die folgenden Fragen:
- Wie viele Strophen werden in den Songs gesungen?
- Gibt es einen Refrain in den Songs und wenn ja, wo?
- Gibt es anstelle eines Refrains oder zusätzlich zum Refrain eine Refrainzeile? Und falls es eine Refrainzeile gibt: An welcher formalen Positionen im Liedverlauf wird sie gesungen?
Aus urheberrechtlichen Gründen wurde der Text nicht in die Textfelder kopiert. Bitte ggf. die Lyrics im Internet recherchieren. Beginne in der Stunde die Arbeit und setze sie ggf. außerhalb der Unterrichtszeit fort:
Bee Gees, Spicks and Specks (1966), Musik/Text: Barry Gibb, Quelle: Youtube
Rare Bird, Sympathy (1968), Musik/Text: Dave Kaffinetti, Mark Ashton, Stephen Gould, Graham Field, Quelle: Youtube
Queen, We Are The Champions (1977), Musik/Text: Freddie Mercury, Quelle: Youtube
I don’t wanna talk about the things we’ve gone through though it’s hurting me now it’s history
I’ve played all my cards and that’s what you’ve done too nothing more to say no more ace to play
The winner takes it all the loser standing small beside the victory that’s her destiny
I was in your arms thinking I belonged there I figured it made sense building me a fence
Building me a home thinking I’d be strong there but I was a fool playing by the rules
The gods may throw a dice their minds as cold as ice and someone way down here loses someone dear
The winner takes it all the loser has to fall it’s simple and it’s plain why should I complain
But tell me does she kiss like I used to kiss you does it feel the same when she calls your name
Somewhere deep inside you must know I miss you but what can I say rules must be obeyed
The judges will decide the likes of me abide spectators of the show always staying low
The game is on again a lover or a friend a big thing or a small the winner takes it all
I don’t wanna talk if it makes you feel sad and I understand you’ve come to shake my hand
I apologize if it makes you feel bad seeing me so tense no self-confidence
The winner takes it all, The winner takes it all
ABBA, The Winner Takes It All (1980), Musik/Text: Benny Andersson, Björn Ulvaeus, Quelle: Youtube
45 Minuten
Was Du wissen solltest ...
- Jede musikalische Analyse ist immer eine Interpretation eines musikalischen Sachverhalts (und keine objektiv beschreibbare Wahrheit), bei der bestimmte musikalische Ereignisse als bedeutsam hervorgehoben und andere Ereignisse weggelassen werden.
- Je nachdem, an welchen Parametern (Melodie, Harmonie, Instrumentation, Text usw.) sich eine musikalische Analyse orientiert, können die Analyseergebnisse unterschiedlich ausfallen.
- Die Wahl einer bestimmten Analyseperspektive muss begründet werden, um auch für andere plausibel zu sein.
- Du kennst die Kadenz und den Parallelismus als Strukturmodelle, um einen musikalischen Abschnitt zu interpretieren.
- Du kennst Definitionen für die folgenden Fachbegriffe: Verse und Chorus (zur Beschreibung von Musik) und Strophe, Refrainzeile und Refrain zur Beschreibung von Text.
Hausaufgabe
- Analysiere die in den Übungen noch nicht analysierten Songs zu Hause und beantworte die zur Übung gehörenden Fragen.
- Der Verse-Formteil des Songs Der Weg von Herbert Grönemeyer lässt sich über ein Modell beschreiben. Wie heißt das Modell und welche Eigenschaften sind für dieses Modell charakteristisch?