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Am 14. Juni 1794 wurde in der Wiener Zeitung die Veröffentlichung einer neuen Komposition Haydns beim Verlagshaus Artaria angekündigt: Pour le Clavecin ou Piano-Forte avec accompagnement d'un Violon. Diese Komposition ist auch als Klaviertrio überliefert und wurde deshalb im Werkverzeichnis unter der Werknummer 32 in die Werkgruppe der Klaviertrios XV eingereiht (XV:32). Diese Fassung für Klaviertrio wurde ebenfalls in London 1754 beim Verlagshaus Preston veröffentlicht.
Allerdings gibt es eine Partiturkopie für die Klavier- und Violinstimme, die knapp zwei Jahrzehnte älter ist und die man als von den beiden Veröffentlichungsquellen als eigenständig ansieht. In der Musikforschung wird daher vermutet, dass diese Abschrift von einer verschollenen Originalkomposition stammen könnte, die Haydn persönlich in sein englisches Werkverzeichnis als 1 Sonate in g 5 [Blätter] eingetragen hat. Aus den genannten Gründen heißt es in der Urtextausgabe bei Henle:
Möglicherweise bietet sie doch Haydns einzige Klavier-Violin-Sonate, und die Cellostimme ist etwas später in England hinzugefügt worden.
Darüber hinaus gibt es Vermutungen und Spekulationen, jedoch keine Gewissheit. Eine gute Freundin von Joseph Haydn war Maria Anna Sabina Genzinger (die mit dem Arzt Peter Leopold Genzinger verheiratet war, der wiederum viele Jahre Leibarzt des Fürsten Nikolaus Esterhazy war, einem bekannten ein Mäzen und Arbeitgeber von Joseph Haydn), In einem Brief an sie , datiert auf den 2tn Mertz 1792, verdächtigt Haydn seinen Copist, eine Sonate gestohlen zu haben, die eine Widmung für Madam Tost [Maria Anna de ]erlischek] erhalten sollte. Haydn befürchtete eine Verstimmung dieser Dame, deren Nennung in der Musikwissenschaft dazu führt, hinter der gestohlenen Sonate Haydns Sonate in Es-Dur Nr. 49 zu vermuten. Die neue Sonate, mit der Haydn Tost und Genzinger vielleicht besänftigen wollte, ist zwar nicht genau zu identifizieren, doch an dieser Stelle kommt das in London komponierte Klaviertrio G-Dur (Hob. XV: 32) ins Spiel, das auch in der eigenständigen Fassung für Klavier und Violine existiert.
Inhalt
Joseph Haydn, Sonate für Klavier und Violine G-Dur Hob. XV:32, 1. Satz: Andante Violine: Elene Meipariani, Klavier: Till Hoffmann, Lizenz: CC-BY-4.0
Zur Form
Kadenzen im ersten Abschnitt (Exposition)
Formal lässt sich der Kopfsatz der Violinsonate in G-Dur am ehesten als ein Variationssatz beschreiben. Der erste Hauptabschnitt, der variierend wiederholt wird. lässt sich aufgrund der Kadenzdisposition
- Ganzschluss in der Ausgangstonart,
- Halbschluss in der Nebentonart und
- Ganzschluss in der Nebentonart
als Exposition eines Sonatensatzes verstehen.
Joseph Haydn, Sonate für Klavier und Violine G-Dur Hob. XV:32, 1. Satz: Andante Violine: Elene Meipariani, Klavier: Till Hoffmann, Lizenz: CC-BY-4.0
Diese Kadenzdisposition wird in der Theorie von Heinrich Christoph Koch – einem Komponisten, Musiktheoretiker und Zeitgenossen von Haydn und Mozart – beschrieben. Sie ist nach Koch anzutreffen »in den ersten Hauptperioden der größeren Tonstücke«.
Das folgende Diagramm zeigt eine Zuordnung der Kadenzen zu den Formfunktionen einer Sonatenexposition (Hauptsatz, Überleitung, Seitensatz, Schlussgruppe):
Das folgende Beispiel zeigt die Kadenzen modellhaft in einer G-Dur-Exposition:
In Haydns Ausarbeitung klingen die Kadenzen im Kopfsatz der Sonate in G-Dur so:
Kadenzfolge der Exposition, Violine: Elene Meipariani, Klavier: Till Hoffmann, Lizenz: CC-BY-4.0
Nach einer zweistimmigen Einführung dieses Modells in den Takten 5–12 erklingt dann eine dreistimmige Gestaltung erstmals in den Takten 17–24:
Joseph Haydn, Sonate für Klavier und Violine G-Dur Hob. XV:32, 1. Satz: Andante Violine: Elene Meipariani, Klavier: Till Hoffmann, Lizenz: CC-BY-4.0
Von dieser Satztechnik macht Haydn im Kopfsatz der Sonate intensiven Gebrauch. Bei jeder Erscheinung variiert er das Modell melodisch oder durch Stimmtausch.
Zwischen den oben beschriebenen Kadenzpunkten werden alle weiteren Passagen wie z.B. die Oberquintmodulation von Haydn auf eine für die Zeit sehr typische Weise gestaltet.
Bewertung
Nach der ersten, für Expositionen typischen Gestaltung komponiert Haydn wider Erwartung keine Durchführung. Stattdessen wird der ganze Abschnitt wiederholt, was im Vergleich mit Werken aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (z.B. mit Mozarts Kompositionen für Violine und Klavier) äußerst ungewöhnlich. Denn Variationssätze haben üblicherweise deutlich kürzere Themen als der Abschnitt, den Haydns in seiner Violinsonate variiert. Zwar wäre es denkbar, die 1. Variation als auskomponierte Wiederholung der Exposition und die Minore-Variation als Durchführung zu interpretieren. Doch aus dieser Perspektive würden die Takte 65–80 sowie die harmonische Gestaltung der Reprise Fragen aufwerfen. Auf der einen Seite wirkt die Klangtechnik des Satz traditionell, auf der anderen Seite ist die formale Gestaltung einzigartig und im Vergleich mit anderen Kompositionen der Zeit sogar rätselhaft.
Satz | MP3-Datei | WAV-Datei (unkomprimiertes Audio) |
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Joseph Haydn, Sonate für Klavier und Violine G-Dur Hob. XV:32, 1. Satz: Andante Violine: Elene Meipariani, Klavier: Till Hoffmann, Lizenz: CC-BY-4.0 |