Musikhandschriften und Musikautografe

Bußpsalmen von Orlando di Lasso, illustriert von Hans Mielich, vollendet 1565
Quelle: Bayerische Staatsbibliothek, BSB Mus.ms. A I(1 | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Was ist eine Musikhandschrift?

Eine Musikhandschrift (oder auch Manuskript, von lat. manu scriptum = von Hand geschrieben) besteht aus Noten, die jemand handschriftlich niedergeschrieben hat.
Allgemein bezeichnet man mit Handschrift oder Manuskript ein handgeschriebenes Buch.

Viele Handschriften waren Auftragsarbeiten für vermögende Klienten. Hier überreicht der Schreiber Jean Wauquelin sein Werk an Herzog Philip den Guten.
Frontispiz der Chroniques de Hainaut, gemalt 1447 von Rogier van der Weyden | Digitalisat: KBR 9242 (fol. 11r) | Public Domain

Was ist der Unterschied zwischen einer Musikhandschrift und einem Autograf?

Sg. das Autograf (Autograph), Pl. die Autografe (Autographen)

Nicht bei allen handschriftlichen Noten handelt es sich um Autografe (von altgriech. αὐτόγραφος, autógraphos = selbst geschrieben). Denn das Wort Autograf ist verbunden mit dem Wort Autor, einem juristischen Begriff, mit dem heute der Urheber oder Verfasser eines Werkes bezeichnet wird. Nur ein handschriftliches Werk, dass von einer Autorin/Urheberin oder einem Autor/Urheber persönlich erstellt worden ist, heißt daher Autograf. Abschriften hingegen, die andere hergestellt haben, sind keine Autografe. Das heißt: Autografen sind immer Musikhandschriften, aber nicht jede Musikhandschrift ist auch ein Autograf.

Früher – also vor den Möglichkeiten digitalen Kopierens – wurden Texte oder Noten häufiger abgeschrieben, um sie beispielsweise in Reinschrift zu bringen oder zu vervielfältigen. Diese Arbeiten haben Autor:innen bzw. Komponist:innen selten selbst ausgeführt, sondern Schreibern oder Kopisten übertragen, weswegen es mehr Manuskripte gibt als (in der Regel sehr wertvolle) Autografe.

Wichtig: Nur hand-geschriebene Dokumente gelten als Autografen. Ein digitales Dokumente fällt nicht unter diesen Begriff, auch dann nicht, wenn es eine Autorin oder ein Autor persönlich erstellt hat.

Autograf von Johann Sebastian Bach, 8 Cembalo-Konzerte (ca. 1736)
Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Mus.ms. Bach P 234
Lizenz: CC0 / Public Domain

Warum und wofür sind Autografen interessant?

Autografen sind als Quellen besonders dann interessant, wenn man genau wissen möchte, auf welche Art und Weise ein Werk von seiner Urheberin oder seinem Urheber aufgeschrieben worden ist. Wenn wir Musik spielen, aufführen oder analysieren, arbeiten wir in der Regel mit modernen Druckausgaben. Gerade von älteren Werken gibt es jedoch oft mehrere Druckausgaben (Editionen), die sich in Details voneinander unterscheiden können, z.B. weil ein Manuskript nicht richtig gelesen worden ist oder sich Fehler während der Drucklegung eingeschlichen haben. Solche Fehler lassen sich mithilfe eines Autografs korrigieren. Darüber hinaus können Autografe sehr interessant sein, weil sich ihnen Eigenheiten der Notation oder Korrekturen der Komponistin oder des Komponisten entnehmen lassen, die bestenfalls über den Schreib- oder Kompositionsprozess Auskunft geben können.

In W. A. Mozarts Domine Deus gibt es beispielsweise eine Stelle, die durch Mozarts Notationsweise im Autograph optisch heraussticht. In einer modernen Notation geht diese Besonderheit verloren. Ein Vorschlag für eine symbolische Deutung dieser Stelle findet sich hier.

Eine Seite aus dem Autograf der Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125 von Ludwig van Beethoven (1822)
Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Mus.ms.autogr. Beethoven, L. v., Artaria 204, fol. 116v
Lizenz: CC0 / Public Domain

Wie bekommt man Zugang zu Musikhandschriften und Autografen?

Originale in Sammlungen

Eine Musikhandschrift im Original zu sehen oder sogar in der Hand zu halten, kann ein ganz besonderes Gefühl sein. Autografen und andere Musikhandschriften werden in Sammlungen auf der ganzen Welt bewahrt, vor allem in Museen, die einzelnen Komponist:innen gewidmet sind, sowie in Staats- und Nationalbibliotheken. Zum Beispiel zeigt die British Library in London in ihrer Dauerausstellung unter vielen gedruckten und handgeschriebenen Schätzen auch autographe Noten von Wolfgang Amadé Mozart und autographe Songtexte von John Lennon (The Beatles). Die Österreichische Nationalbibliothek bewahrt Originalhandschriften u.a. von Joseph Haydn, W. A. Mozart, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Anton Bruckner, Richard Strauss und Alban Berg auf.

→ Die Musikermuseen in Deutschland sind auf dieser Karte verzeichnet.

Wo bzw. in welchem Institut ein Autograf aufbewahrt wird, lässt sich über das RISM (Répertoire International des Sources Musicales) in einem Online-Katalog recherchieren. Die Advanced Search unterstützt dabei sogar eine Suche nach Melodieeingaben.

Digitalisate

Weltweit sind Museen, Archive, Forschungsbibliotheken und Universitäten damit beschäftigt, ihre Sammlungsbestände zu digitalisieren. Viele Institutionen haben schon einen mehr oder weniger großen Teil online gestellt. Digitalisate von Autografen und anderen Musikhandschriften findet man zum Beispiel

Faksimiles

Reproduktionen von (Musik-)Handschriften und alten Drucken heißen Faksimiles (von lat. fac simile = mach′ es ähnlich). Je besser das Faksimile, desto ähnlicher ist es dem Original in Farbe, Größe, ggf. unregelmäßigen Seitenrändern oder Löchern, in der Nachbildung des Einbands usw., weswegen aufwendig gestaltete Faksimiles auch recht teuer sein können. Einige Verlage (z.B. Bärenreiter, Anne Fuzeau, Stretta, Laaber, Schott u.a.) unterhalten Programme, in denen sie Faksimiles anbieten. Um die Authentizität zu beweisen, werden Urtext-Editionen manchmal Kopien des Autografs beigegeben. Zielgruppe solcher Faksimileausgaben sind Forscher:innen und Musikliebhaber:innen.

Marginalien, OMA-Dokument über Randfiguren mit Musikinstrumenten in mittelalterlichen Handschriften

Handschriften des Mittelalters](https://www.youtube.com/playlist?list=PLOnMMqal4tLZURIe1VmXNoyk3JcLkDba8), Videoreihe zu Buchherstellung, Layout, Schriften usw. von mittelalterliche-geschichte.de (Universität Augsburg)

Buchmalerei erklärt, Video-Playlist von Medieval Art Stories (gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien)

How to make a medieval manuscript, Videoreihe zur Manuskriptherstellung (vom Federkiel bis zur Miniatur) von der British Library