Zur Pc Set Analyse (Praxis)
Grundsätzliche Überlegungen
Die Akkordlehre geht davon aus, dass ein C-Dur Quartsextakkord die Umkehrung eines C-Dur Quintklangs ist. Das folgende Beispiel zeigt einen C-Dur Quintakkord, als erste Permutation einen Sextakkord (1. Umkehrung), als zweite den Quartsextakkord (2. Umkehrung) und als dritte wieder den Grundakkord (Ausgangsakkord oktavtransponiert):
Diese Annahme wird in der Regel ohne Widerspruch gelernt, obwohl in komponierter Musik Quartsextklänge meistens die Funktion eines Doppelvorhalts haben (kadenzierender Quartsextakkord). Im folgenden Beispiel ist der Quartsextklang auf schwerer Zeit nicht als C-Dur-Akkord, sondern als dominantischer G-Dur-Akkord mit zwei Vorhaltsbildungen (6 zu 5 bzw. e zu d sowie 4 zu 3 bzw. c zu h) zu lesen:
Die Akkordlehre gleicht daher einer Mengenlehre (set theory), die Töne im Terzabstand zu Mengen (Akkorden) zusammenfasst. Der tiefste Ton einer Menge heißt Grundton. Gesetze zur Ordnung von Grundtönen führen zu einer harmonischen Theorie. Darüber hinaus werden in der Akkordlehre Intervalle und Intervallkombinationen als unvollständige Akkorde gedeutet. In dem folgenden Beispiel können alle Gestalten als unvollständiger C-Dur Septakkord interpretiert werden:
Auch das ist nicht selbstverständlich, denn es gibt Zusammenhänge, in denen sich beispielsweise der Klang e-g-b (in der Abbildung oben der dritte Akkord) weder nach einem C-Dur Septakkord anhört noch sich entsprechend auflöst:
In tonaler Musik gelten durch Transposition und Umkehrung umgeformte Tonmengen als gleichwertig. Etwas problematischer ist die Transformation der Spiegelung einer Tonmenge (Melodie, Thema, Motiv). Im doppelten Kontrapunkt der Oktave beispielsweise werden Terzen zu Sexten und Sexten zu Terzen. Diese Komplementärintervalle gelten daher als musikalisch gleichwertig:
Allerdings gibt es in tonaler Musik eine Ausnahme, weil die Quarte zum Grundton dissonant, die Quinte hingegen konsonant klingt. Aufgrund der unterschiedlichen Qualität gelten diese Komplementärintervalle daher nicht als gleichwertig (was in der Musikausbildung erfahrungsgemäß große Probleme verursacht). Auch ein gespiegelter Akkord ändert in tonaler Musik seine Bedeutung:
Das liegt daran, dass wir gewohnt sind, den tiefsten Ton einer Terzschichtung (bis auf wenige Ausnahmen wie zum Beispiel den Sixte ajoutée) als Grundton wahrzunehmen. Deswegen hören wir in dem Beispiel oben zuerst einen kleinen C-Dur Septakkord über c (Dominantseptakkord) und als Spiegelung des Akkordes einen kleinen verminderten Septakkord über d (halbverminderten Septakkord). Aber nehmen wir einmal an, es gäbe in einer komponierten Musik keine Terzenschichtungsakkorde und Grundtöne mehr, wie sähe es denn dann mit der Spiegelung aus?
Pc-set Analyse
Die Pc-set Analyse ist eine Methode zum Benennen komplexer, in der Regel atonaler Klänge einer Musik, in der Terzenschichtungsklänge sowie Grundtonempfindungen gar nicht oder nur sehr selten anzutreffen sind. Es erleichtert den Einstieg in die Pc-set Analyse, wenn Sie sich – ganz im Sinne der Akkordlehre – vorstellen, dass Tonmengen und ihre Umkehrung gleichwertig sind. Und da es keine Terzenschichtungsklänge und Grundtöne mehr gibt, erzeugt auch die Spiegelung einer Tonmenge eine gleichwertige Tonmenge (in ihr erklingen die gleichen Intervalle wie in der Ausgangsmenge). Der Algorithmus, nach dem Töne eines Klanges im Sinne der PC-set Analyse geordnet werden, folgt drei Arbeitsschritten:
- Schichten Sie die Töne innerhalb einer Oktave so, dass sie in das kleinstmögliche Intervall passen (normal order).
- Wählen Sie unter diesen möglichen Schichtungen diejenige aus, bei der an der unteren Ambitusgrenze das kleinste Intervall liegt (prime form).
- Transponieren Sie die Töne dieser Tonmenge zur besseren Vergleichbarkeit nach c.
Die Vorgaben basieren auf Übereinkunft (so, wie man einmal darin übereingekommen ist, bei Akkorden die Töne in Terzenschichtung anzuordnen und den tiefsten Ton als Grundton zu bezeichnen). Der Vorteil: Hält man sich an diese Konvention, kommen verschiedene Musikwissenschaftler in verschiedenen Ländern zu derselben Benennung eines Klangs und können sich so über komplexe musikalische Erscheinungen besser verständigen. Der Nachteil: Musikalische Informationen wie die Lage der Töne, ggf. Instrumentation und Dynamik gehen verloren (wie allerdings in der Akkordlehre auch). Das folgende Beispiel zeigt a) einen Klang aus fünf Tönen, b) die Töne des Klangs transponiert in eine Oktavlage und c) so geordnet, dass die Tonmenge den kleinsten Umfang hat (= Vorgabe 1):
Die Lage der Töne für den kleinsten Umfang lässt sich am einfachsten ermitteln, wenn Sie auf das größte Intervall zwischen jeweils benachbarten, in eine Oktavlage transponierten Tönen achten (im Beispiel b oben das Intervall der großen Terz zwischen Tönen fis und d). Spiegeln Sie dann diese Töne (also die große Terz zur kleinen Sexte im Beispiel c) und ordnen Sie in diesem Intervall die übrigen Töne an. Im Beispiel oben erhalten Sie eine Umformung mit dem Umfang einer kleinen Sexte (= kleinstes Außenstimmenintervall) bzw. zwei normal orders. Zwei normal orders, weil in Musik ohne Terzenschichtungen und Grundtöne die Spiegelung eines Klangs als gleichwertig gelten muss, weil in ihm die gleichen Intervalle erklingen. Die zweite normal order erhalten Sie also, wenn Sie den Klang spiegeln und transponieren:
Vielleicht haben Sie aber auch bemerkt, dass die Intervallfolge gr. Sekunde − kl. Sekunde − gr. Sekunde − kl. Terz des Klangs d−c−h−a−fis von oben nach unten gelesen die gleiche ist, wie von dem gespiegelten und transponierten Klang fis−gis−a−h−d, wenn man ihn von unten nach oben liest. Zum Ermitteln einer normal order und seiner Spiegelung reicht es daher aus, eine normal order von verschiedenen Richtungen aus zu lesen. In dem folgenden Diagramm wurde der jeweils erste Ton mit 0 bezeichnet, die Zahlen der übrigen Töne geben den Abstand in Halbtönen zu diesen Tönen an:
Durch die Benennung der Töne in Zahlen (0 = der Ausgangston, 1 = kleine Sekunde zum Ausgangston, 2 = große Sekunde zum Ausgangston usw. bis 11 = große Septime zum Ausgangston) erhalten Sie Zahlenreihen, die sich sehr übersichtlich vergleichen lassen:
- 03568 (die normal order fis−gis−a−h−d von unten nach oben gelesen)
- 02358 (die normal order fis−gis−a−h−d von oben nach unten gelesen).
Man erkennt gleich, dass die 2. Ordnung 02358 an der unteren Grenze (= 0) dass kleinere Intervall (2 = große Sekunde) aufweist gegenüber der 1. Ordnung (3 = kleine Terz). Die Ordnung 02358 bildet also die prime form des Klangs. Zur besseren Vergleichbarkeit können Sie die Intervallfolge 02358 auf c transponieren:
Es ist schon bei diesem Fünftonklang gar nicht mehr so einfach zu entdecken, dass die Töne c−d−es−f−as eine Transposition und Spiegelung der Töne fis−a−h−c−d sind. Und genau darin besteht der Wert der Pc-set Analyse: Sie stellt ein methodisches Werkzeug zum Beschreiben komplexer Klänge bereit und schafft so eine Grundlage, in nicht allzu ferner Zeit vielleicht einmal zu einer Theorie der Harmonik freitonaler Musik zu gelangen. Allen Forte hat übrigens den Klängen nach einem bestimmten Schema einen Namen gegeben. Das Set 02358 hat nach Forte den Namen 5-25 (d.h., es ist ein Set mit 5 Tönen und das 25. Set in der Ordnung Fortes). Dieses Set hat den Intervallvektor [123121], was so viel besagt, dass in diesem Set 1 kleine Sekunde, 2 große Sekunden, 3 kleine Terzen, 1 große Terz, 2 Quarten und 1 Tritonus erklingen. Größere Intervalle als der Tritonus kommen bei der Berechnung des Intervallvektors übrigens nicht vor. Können Sie sich erklären, warum?
Literatur und Links
1- Pitch-class-set-Rechner auf musikanalyse.net
2. Christoph Neidhöfer, »Set Theory« in: ZGMTH 2/2–3 (2005), Hildesheim, S. 219–227
3. A Brief Introduction to Pitch-Class Set Analysis von Gary Tucker
4. Set theory (music) - englischsprachige Wikipedia