Filmmusik, Digitalisierung und Zukunftsmusik
Filmmusik meint heute in den meisten Fällen eine am Computer komponierte Musik, die unter Zuhilfenahme von Sample-Libraries hergestellt worden ist. Nur große Produktionen sind in der Lage, das notwendige Geld für einen berühmten Komponisten, ein großes Orchester, eine Dirigentin, Tonmeisterin und ein Studio bereitzustellen, zumal die Unterschiede zwischen ›synthetischer‹ und ›echter‹ Musik immer geringer werden und schon bald wahrscheinlich nur noch für Hörprofis wahrnehmbar sind. Doch wenn bisher Musik am Computer komponiert worden ist, war dafür immer noch ein Mensch vor dem Computer verantwortlich. Im Zuge der Digitalisierung allerdings könnte sich das schon bald ändern, wenn man den Reden vom Maschinen-Lernen (ML) und von Künstlicher Intelligenz (KI) Glauben schenken mag. Doch was haben ML und KI mit Musik zu tun?
Als maschinelles Lernen wird bezeichnet, wenn ein Computerprogramm in der Lage ist, aufgrund von Berechnungen , die es zuvor gemacht hat (›Erfahrungen‹), ein Wissen aufzubauen. Zum Beispiel kann man einen Code schreiben, der Eigenschaften von Katzen erkennt und nach einer Trainingsphase ist das Programm in der Lage, alle möglichen Katzenbilder im Internet selbständig zu identifizieren.
Auch die Musikerkennung hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt, was man an der Qualität von Hörvorschlägen sehen kann, die wir auf der Grundlage unserer Hörgewohnheiten im Internet bekommen. Im Hintergrund hat dabei eine Maschine unseren Musikgeschmack ›gelernt‹ und mit jedem Vorschlag, den wir von ihr annehmen oder ablehnen, lernt die Maschine weiter.
Seit 2016 wurde AIVA entwickelt, 2019 erlangte es in Form eines Webangebots ein eigenes ›Bewusstsein‹. Hinter AIVA steht eine Künstliche Intelligenz, die laut Unternehmen das Komponieren anhand von Bach, Beethoven und Mozart erlernt hat. AIVA ›erkennt‹ die bei den Komponisten auftretenden musikalischen Strukturen und kann diese so variieren bzw. neu zusammenfügen, dass neue ›Kompositionen‹ von bis zu drei Minuten Dauer entstehen. Und zwar in Sekunden!
Bildmontage mit einem AIVA-Account im Hintergrund.
Bitte beachten Sie, dass der Name AIVA sowie das zugehörige Icon im Bild geschützt sein dürften!
Die Abbildung oben zeigt einen Account (2020) nach dem Pro-Plan des AIVA-Unternehmens, der das Generieren unendlich vieler Kompositionen in den Stilen ›Cinematic‹ (›Modern‹ und ›20th Century‹), ›Sea Shanty‹, ›Jazz‹, ›Fantasy‹, ›Pop‹, ›Rock‹, ›Chinese‹, ›Tango‹ und ›Electronic‹ erlaubt. Beim Pro-Plan erhält man zudem für die generierten Kompositionen die vollen Rechte (man kann die Soundfiles also verkaufen oder unter CC-Lizenz veröffentlichen) sowie MIDI-Dateien zum Bearbeiten. Auch ein Standard-Plan und ein Free-Plan sind erhältlich. Der Free-Plan erlaubt das Herstellen einer unlimitierten Anzahl von Kompositionen, jedoch lediglich drei Downloads pro Monat und (natürlich) keine Pop-/Rock-Kompositionen. Wenn man in diesem Plan die Kompositionen verwendet, muss man zudem angeben, dass AIVA sie komponiert hat.
Im Internet kann man derzeit lesen, dass AIVA als erster virtueller Komponist der Welt von der SACEM anerkannt worden ist (die SACEM ist eine französische Verwertungsgesellschaft vergleichbar der deutschen GEMA). Ganz zutreffend ist diese Information allerdings nicht, da ein Urheberrecht nach derzeitiger Rechtslage ausschließlich natürlichen Personen (also Menschen) zugesprochen werden kann. Weil ein Computerprogramm wie AIVA deswegen kein Mitglied einer Verwertungsgesellschaft werden kann, hat man einfach einen Mitarbeiter des Start-Up-Unternehmens AIVA TECHNOLOGIES zum Mitglied der SACEM gemacht. Und dieser Mensch registriert nun die von AIVA generierten Computer-Kompositionen unter dem Pseudonym AIVA in der SACEM. Ein toller Trick, der allerdings jede Menge Fragen aufwirft...
Beziehungen von Personen und Firmen zum Urheberrecht.
Bitte beachten Sie, dass auch in diesem Bild der Name AIVA sowie das zugehörige Icon geschützt sein dürften!
Neben AIVA (Luxemburg) gibt es noch weitere Unternehmen, die aktuell an ML und KI zum Thema Musik arbeiten und Dienstleistungen verkaufen wie zum Beispiel Amper (New York), Melodrive (Berlin), Jukedeck (London), Humtap (San Francisco) und Popgun (Brisbane).
Take 1: Inhaber eines Urheberrechts kann nach aktueller Rechtslage nur ein Mensch sein und es ist auch nicht übertragbar (nur vererbbar). Diskutiert, wer eurer Meinung nach das Urheberrecht an einer KI-Komposition in Zukunft haben sollte:
1.) die Softwarearchitektin bzw. der Softwarearchitekt,
2.) die Firma, von der die Softwareentwicklung bezahlt worden ist,
3.) die Käuferin oder der Käufer, der für die Komposition bezahlt hat oder
4.) niemand (public domain / CC0).
Dass man an einer Software das Urheberrecht haben kann, ist klar (bzw. geklärt: UrhG §69a–g). Aber kann man auch das Urheberrecht an dem haben, was die Software herstellt? Im Fall Nr. 4 könnte die Komposition zwar noch von der Firma verkauft werden, wäre anschließend jedoch frei, weil
a) kein Mensch die KI-Komposition komponiert hat und weil
b) das Urheberrecht nicht übertragbar ist.
Ist die aktuelle Rechtslage ausreichend oder sollte sie in Zukunft angepasst werden?