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Die Quintfallsequenz in der Zweistimmigkeit

Inhalt

Quintfallsequenzen werden heute üblicherweise als eine Folge von Akkorden interpretiert, deren Grundtöne eine Quintenkette bilden. Für die Praxis wie z.B. das Improvisieren in historischen Stilen oder das Schreiben von Inventionen ist es allerdings sehr hilfreich ist, Quintfallsequenzen als eine Verzierung eines zweistimmigen Satzes zu denken.

Zweistimmige Akkorde

Von einem Akkord wird gesprochen, wenn wir Töne als Einheit wahrnehmen, die einen Grundton hat. Hört man einen Grundton, hat man also einen Akkord gehört, unabhängig davon, wie viele Töne in welcher Lage erklingen. Alle Klänge des folgenden Beispiels kann man als d-Moll-Akkorde hören, selbst das vorletzte Beispiel (f-a) kann man in einem bestimmten Kontext als d-Moll-Akkord hören:

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Für den Klang eines zweistimmigen Satzes des 18. Jahrhunderts sind imperfekte Konsonanzen, also Terzen und Sexten, von besonderer Bedeutung. Das Beispiel oben zeigt, dass ein d-Moll-Akkord dabei durch eine Terz zwischen Grund- und Terzton, durch eine Terz zwischen Terz- und Quintton und durch eine Sexte zwischen Terz- und Grundton ausgedrückt werden kann (die letzten drei Beispiele der Abbildung oben).

Die Harmonik der Quintfallsequenz

Eine Quintfallsequenz ist ein Satzmodell, das sich zur Beschreibung komponierter Musik anbietet, wenn ein Quintfall im Fundament sekundweise abwärts sequenziert wird. Das nächste Notenbeispiel zeigt den Bass einer Quintfallsequenz mit Grundakkorden, das heißt, Bass- und Fundamentstimme sind identisch:

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Ein imperfizierter Gerüstsatz für die Quintfallsequenz

Möchte man nun diese Quintfallsequenz in einer eine für das 18. Jahrhundert klanglich typischen Art ausarbeiten, so muss darauf geachtet werden, dass auf den schweren Taktzeiten imperfekte Konsonanzen erklingen. Das nächste Beispiel zeigt einen Gerüstsatz mit Gegenbewegung der Stimmen, wobei auf den Takteinsen ausschließlich Terzen erklingen. In Moll ist dabei ein #-Vorzeichen für den Leitton der Zieltonart (hier: d-Moll) zu beachten:

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Es gibt nun zahlreiche Möglichkeiten, diesen zweistimmigen Gerüstsatz figurativ auszuarbeiten bzw. zu diminuieren (von lat. diminuere = zerkleinern, zerteilen), wobei nicht alle Möglichkeiten zu einer Quintfallsequenz des 18. Jahrhunderts führen werden. Dafür ist wichtig, dass man die Zusammengehörigkeit der sekundweise fallenden Harmonien erkennen kann, das heißt, Harmonik und Melodik werden gekoppelt und gemeinsam sequenziert.
Die nächste Abbildung zeigt eine motivische Ausarbeitung, in der sich jeweils zwei Motive abwechseln (a-b / a'-b' = motivischer Parallelismus). Die Ähnlichkeit der Motive im ersten und dritten Takt (a-a') gliedern den melodischen Verlauf, so dass man die fallende Sekundbewegungen des Fundamentschritts hört (d-g / c-f):

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Aufgabe 1

Führe die Quintfallsequenz oben weiter bis zur Zieltonart d-Moll und schließe mit einer zweistimmigen Kadenz.

Für die Ausarbeitung oben wurden im Gerüstsatz Terzen in Gegenbewegung gewählt. Genauso gut sind aber auch Terzen in beständiger Parallelbewegung auf den Takteinsen möglich:

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Die nachstehende motivische Ausarbeitung berücksichtigt wieder den motivischen Parallelismus bzw. eine motivische Entsprechung des jeweils ersten und dritten sowie zweiten und vierten Taktes usw.:

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Aufgabe 2

Führe auch diese Quintfallsequenz weiter bis zur Zieltonart d-Moll und schließe mit einer zweistimmigen Kadenz.

Bisher wurden im Gerüstsatz nur Terzen verwendet. Wird darüber hinaus das Intervall der Sexte berücksichtigt, lassen sich zum Beispiel in jedem zweiten Takt Grund- und Terzton vertauschen, wie in dem folgenden Gerüstsatz:

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Eine Ausarbeitung unter Berücksichtigung der bisher besprochenen Aspekte könnte dabei wie folgt klingen:

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Aufgabe 3

Vervollständige auch diese Quintfallsequenz bis zur Zieltonart d-Moll und schließe mit einer zweistimmigen Kadenz.

Für das nächste Beispiel wurde der Gerüstsatz in den ersten viert Takten diminuiert, so dass zuerst auf den Takteinsen Terzen Grund- und Terzton, anschließend auf der Zählzeit drei Terz- und Quinttönen der jeweiligen Harmonien erklingen. Beachte, dass man die Terz f-a nicht als F-Dur, sondern aufgrund des Kontextes als d-Moll wahrnimmt. Ab dem fünften Takt wechselt dann der Gerüstsatz wieder zur Ganztaktigkeit, jedoch wird auf den Leitton der Dominante verzichtet, wodurch die Quintfallsequenz in d-Moll keinen Abschluss findet:

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Für diesen Gerüstsatz können wir eine sehr kunstvolle Ausarbeitung von Johann Sebastian Bach borgen. Sie findet sich in der Invention in d-Moll BWV 775 (Takte 7−14) gleich nach dem Thema:

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Aufgabe 4

Kennzeichne alle Töne der Diminution Bachs, die nicht zu der Harmonie des jeweiligen Taktes passen. Finde Erklärungen, warum diese dissonierenden Töne nicht störend wirken und recherchiere, wie diese Dissonanzen genannt werden.

Aufgabe 5

Analysiere abschließend den vollständigen Notentext der Invention in d-Moll BWV 775 und markiere alle Stellen, an denen Bach Quintfallsequenzen verwendet. Welche Funktion haben die Quintfallsequenzen in der Invention? (Die Quintfallsequenzen werden farbig markiert, wenn du den Slider nach rechts ziehst.)

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J. S. Bach, Invention d-Moll BWV 775, Clavichord: Kanji Daito, Quelle: YouTube

Aufgabe 6
  • Notiere die Gerüstsätze für alle Quintfallsequenzen in dieser Invention und denke dir für diese Gerüstsätze eigene Diminutionen aus.