Die QualitÀt der Intervalle (konsonant / dissonant)
Als Intervall wird der Abstand zweier gleichzeitig (simultan) oder nacheinander (sukzessiv) erklingender Töne bezeichnet. Zum Thema Intervalle gehören verschiedene Aspekte, zum Beispiel historische (Intervalllehre, Kontrapunkt etc.), psychologische (Auffassung des Dissonanzgrades) und mathematisch-physikalische (SchwingungsverhÀltnisse, Intervallmessungen etc.). Viele VerstÀndnisprobleme haben ihre Wurzeln in dem Aufeinandertreffen einer theoretischen und praktischen Musikanschauung und lassen sich daher nur aus historischer Perspektive angemessen verstehen (z.B. das Problem, ob die Quarte zu den konsonanten oder dissonanten Intervallen zÀhlt).
Die mathematisch-physikalische Perspektive
Nach einer Lehre, die ĂŒblicherweise Pythagoras zugeschriebenen wird, bestand ein durch ZahlenverhĂ€ltnisse vermittelter Zusammenhang zwischen Kosmologie und Intervallen. Die Tetractys (griechisch ÏΔÏÏαÎșÏÏÏ = »Vierheit« oder »Vierergruppe«) reprĂ€sentierte die Zahlen 1â4. Sie bildete die philosophische Grundlage fĂŒr die musiktheoretische Ansicht der Vollkommenheit von Oktave (2:1), Quinte (3:2) und Quarte (4:3).
Intervallname | Proportion | QualitÀt |
---|---|---|
Oktave | 2 : 1 | vollkommen konsonant |
Quinte | 3 : 2 | vollkommen konsonant |
Quarte | 4 : 3 | vollkommen konsonant |
- Vollkommene Konsonanzen: Von der griechischen Philosophie beeinflusst wurden in der Musiktheorie daher Intervalle als perfekt angesehen, wenn ihre SchwingungsverhĂ€ltnisse der âș1âč (bzw. UnitĂ€t/Gott) möglichst nahe kamen. Prime, Oktave, Quinte und Quarte zĂ€hlten daher zu den vollkommenen Konsonanzen. Zarlino (1517â1590) erweiterte diesen Zahlenraum dann spĂ€ter bis zur Zahl 6 (âșSestinarioâč).
- Unvollkommene Konsonanzen: WĂ€hrend die kleine Sexte in frĂŒhen Kontrapunkttraktaten noch nicht zu den Konsonanzen gezĂ€hlt wird, zĂ€hlt sie heute â zusammen mit der groĂen Sexte und den Terzen â zu den sogenannten unvollkommen Konsonanzen.
- Dissonanzen: Intervalle mit Proportionszahlen >= 8 (Sekunden, Septimen sowie ĂŒbermĂ€Ăige und verminderte Intervalle) galten hingegen als dissonant.
Die satztechnisch-kontrapunktische Perspektive
Aus satztechnisch-kontrapunktischer Sicht gibt es streng genommen kein dissonantes Intervall, sondern nur einen Bezugston (âșpunctusâč), der einen anderen Ton (âșcontra punctusâč) in ein dissonantes VerhĂ€ltnis setzt (Synkopendissonanz im Kontrapunkt). Die Stimme mit dem dissonierenden Ton (âșPatiensâč) war frĂŒher speziellen Regeln unterworfen (Vorbereitung/Auflösung), die Bezugsstimme (âșAgensâč) hingegen nicht. Es ist hilfreich, nur von einer einzigen Synkopendissonanz auszugehen (Septime), wobei sich durch Stimmtausch und verschiedene Bassstimmen die Sekund-, Quarten-, und Nonensynkope herleiten lassen:
Eine Perspektive der Auffassung und des beziehenden Denkens
Betrachtet man die Musik vergangener Jahrhunderte in ihrer groĂen Vielfalt, dĂŒrfte verstĂ€ndlich sein, dass man nicht durch Regeln angeben kann, was eine Dissonanz ist. DarĂŒber hinaus ist die Wahrnehmung einer Dissonanz von unseren Wahrnehmungsschemata abhĂ€ngig, die wiederum durch unzĂ€hlige andere Faktoren beeinflusst sind. Die Frage nach der Dissonanz ist letztendlich eine Frage nach der »Auffassung und des beziehenden Denkens« (C. Stumpf).
Ein Beispiel
Aus mathematisch-physikalischer Sicht ist die Quarte câf konsonant:
Doch aus satztechnischer Perspektive lÀsst lÀsst sie sich nicht nur als Dissonanz empfinden, sondern auch auf verschiedene Weisen auflösen. Je nach harmonischem Kontext kann dabei sowohl der obere als auch der untere Ton als dissonierender Ton aufgefasst werden: